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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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mit Ihnen auf Ihren Fund anzustoßen, und zwar mit einem Gläschen Port. Dieser Abend ist zum Feiern da, nicht zum Trübsalblasen.” Blackie wandte sich an Esme. “Liebes, würdest du uns von dem guten Madeira einschenken?”
    Während sie den Portwein holte, dachte sie an ihren Bruder, der für sein Leben gern Portwein trank. Ach, wäre Percy jetzt hier gewesen! Dann hätte sie ihm erzählen können, was sie vorhin gesehen und wie Blackie sich benommen hatte. Sie hätte den Bruder um Rat bitten können.
    In der folgenden Stunde sprach Professor Neely dem Portwein reichlich zu, und dabei dozierte er angeregt über heidnische Glaubensrichtungen, Totenkulte, das Christentum im vierten Jahrhundert, das von ihm gefundene Grab, die von ihm angewandten Datierungsmethoden sowie die Übersetzung der Zeichen, die durch den Weinguss auf der Oberfläche der Steine sichtbar geworden waren. Blackie sorgte für einen ständigen Nachschub an Madeira und füllte dem Archäologen ein ums andere Mal das leer getrunkene Glas, während er sich selber kaum nachschenkte.
    Dabei tat er so, als hinge er regelrecht an des Archäologen Lippen, auch wenn der mehr und mehr ins Lallen geriet. Als Neely des Redens dann endlich müde wurde, war es schon beträchtlich nach Mitternacht und der Altertumsforscher ziemlich angeheitert.
    “Kommen Sie, alter Junge, ich helfe Ihnen auf”, schlug Blackie ihm schließlich vor. “Ich fürchte, allmählich wird es Zeit für den Heimweg.”
    Unsicher und den Beutel mit den Juwelen krampfhaft an sich geklammert, stemmte sich Neely auf die Beine. Unbeholfen versuchte er, sein Jackett zu glätten, zerknautschte es dabei aber noch mehr und gab, als er zum Ausgang torkelte, eine ausgesprochen komische Figur ab.
    “Schafft er es auch heil bis zu seinem Quartier?”, flüsterte Esme Blackie zu. “Wäre es nicht besser, du nimmst ihn mit zu deiner Villa? Es ist schon spät, und auf den Straßen treibt sich allerlei Gesindel …”
    Mit einem einzigen durchbohrenden Blick seiner eiskalten blaugrauen Augen brachte Blackie sie zum Schweigen. So hatte er sie noch nie abgekanzelt. Seine Miene und sein brutales Benehmen in der Bibliothek gaben ihr zu denken; zum ersten Mal sah sie heute Abend an ihm einen Charakterzug, der ihr ganz und gar nicht gefiel. Trotz all seiner Liebesschwüre erkannte sie in diesen kurzen Momenten, wie unwichtig und überflüssig sie für ihn war. Die Erkenntnis kam so überfallartig und so plötzlich, dass ihr schlagartig übel wurde, und das so heftig, dass ihr war, als müsse sie sich auf der Stelle übergeben. Wie hatte sie sich so in ihm täuschen können? Wie konnte sie jemanden lieben, der ihre Liebe nicht verdiente? Nein, sie musste seinen Blick falsch verstanden haben.
    Während Blackie den Professor zur Haustür geleitete, begab Esme sich nach oben in ihr Schlafgemach, wo sie sich an ihren Schreibtisch setzte. Sie nahm einen Federhalter zur Hand, tunkte die Feder ins Tintenfass und setzte schon an zu einem Brief an ihren Bruder, um ihm alles mitzuteilen, was gerade vorgefallen war. Percy würde, so ihre Hoffnung, sicher alles erklären. Da ihr aber nicht ganz wohl bei der Sache war, legte sie den Bogen vorerst beiseite und trat hinaus auf den Balkon, hoffte sie doch, die Brise würde ihr guttun.
    Genau dort vernahm sie ein, zwei Minuten darauf Stimmen, und als sie nach unten schaute, sah sie, wie Blackie mit dem Gast aus dem Haus kam.
    “Gute Nacht, Professor. Hervorragende Arbeit!”
    Steif in der Taille einknickend, verbeugte sich Neely kurz und schwankte dann hinüber zu seiner Kutsche, die wartend in der Einfahrt bereitstand.
    Blackie machte derweil kehrt. Hatte er etwas in der Bibliothek vergessen? Wollte er sich zunächst verabschieden? Vor lauter Angst, sich wieder diesem Blick aussetzen zu müssen, traute sich Esme nicht die Treppe hinunter, sondern blieb auf dem Balkon stehen. Unten wartete der beschwipste Gast, bis sein Kutscher um das Gefährt gebogen war und ihm hineinhalf.
    “Sie sind aber nicht der, der mich hergefahren hat!”, lallte Neely mit schwerer Zunge und so laut, dass Esme es hören konnte.
    Der Angesprochene antwortete nicht, sondern packte seinen Fahrgast beim Arm und zog in nach vorn. Es sah aus, als wollten die zwei einen skurrilen Tanz vollführen – der betrunkene Archäologe vor- und zurückschwankend, dabei Halt suchend mit den Armen fuchtelnd, während der Kutscher ihn eisern festhielt. Mondschein streifte flüchtig einen der Messingknöpfe an

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