Der Memory Code
sagen Sie mir erst, wie es meiner Tochter geht … Ist mit Quinn alles in Ordnung?” Für einen Moment schloss Gabriella die Augen, schlug sie dann erleichtert wieder auf, schaute Josh an und nickte. Er fasste sie beim Ellbogen und führte sie aus dem Gewühl fort zum Fenster, wo es ruhiger war.
Josh beobachtete, wie sie an der Unterlippe nagte. Falls dieser Anruf so verlief wie der vorherige, lauschte sie vermutlich jetzt einer Tonbandaufnahme – ein paar Worte von Bettina, ein, zwei schnelle Sätze von ihrem Töchterchen – und erhielt gleich Instruktionen von dem namenlosen Kidnapper.
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Nur noch zehn Minuten, um zum Flugsteig und weiter an Bord der Maschine zu gehen. Es war die letzten an diesem Abend. Aber noch telefonierte Gabriella, und plötzlich lachte sie. Es war ein solch freudiger Laut, dass es fast schon obszön klang, und die Tränen folgten auch auf dem Fuße. Sie hatte Mühe, Fassung zu bewahren.
“Nein, weiß ich noch nicht.” Pause. “Ja, bis Freitag. Wohin soll ich kommen?” Sie lauschte und nickte. “Nein, natürlich bringe ich keine Polizei mit!” Pause. “Aber dürfte mich vielleicht jemand hinfahren?” Pause. “Woran man erkennt, dass der Fahrer kein Polizist ist? Das weiß ich doch nicht! Wer sagt mir denn, dass meine Tochter noch lebt?” Pause. “Ja, das Telefon habe ich dabei. Auf Schritt und Tritt. Aber bitte, nicht …” Die Augen wieder geschlossen, lehnte sie sich kraftlos gegen die Wand und ließ resigniert die Hand mit dem Handy sinken. “Einfach aufgelegt”, murmelte sie tonlos.
“Was hat er gesagt?”
“Er … er ruft Freitag im Laufe des Tages an und nennt einen Treffpunkt.” Sie biss sich auf die Lippe, sichtlich mit den Tränen kämpfend. “Dann erfahre ich, wohin ich kommen soll. Aber, Josh, er …” Sie holte tief Luft, als könne sie dadurch ihrer Panik Herr werden. “Er wusste, wo wir waren. Dass ich … dass ich bei Rollins war. Dabei habe ich das niemandem gesagt, auch ihm nicht! Den Namen erst recht nicht. Ich habe weder erzählt, wohin wir fahren, noch, mit wem wir uns treffen.”
“Hundertprozentig nicht?”
“Ja, absolut. Kurz bevor er auflegte, sagte er noch, er hoffe, dass Professor Rollins so gut sei wie sein Ruf. Wir müssen Larry sofort anrufen und ihn warnen!” Sie tippte eine Nummer in ihr Mobiltelefon und wartete. “Da geht keiner ran. Das muss nicht automatisch etwas Schlimmes bedeuten. Vielleicht hört er es nur gerade nicht.”
“Bestimmt.”
Doch offenbar ließ die Sache sie nicht los. “Wenn ihm aber doch etwas zugestoßen ist …”
“Ist es schon nicht, Gabriella. Jetzt hör mal zu. Wenn dieser Irre immer noch darauf wartet, dass du ihm die Antworten lieferst, bedeutet das zwangsläufig, dass er nicht von allein draufkommt.”
Dieser Logik konnte sie sich nicht verschließen.
Abermals sah Josh zur Uhr. “Jetzt wird’s aber Zeit. Wir müssen zum Flugsteig!”
Dort angekommen, stellten sie fest, dass die Maschine vierzig Minuten Verspätung hatte.
“Komm, lass uns einen Kaffee trinken gehen”, schlug er vor, um zu verhindern, dass sie knapp eine Dreiviertelstunde dasaß und ständig auf die Uhr guckte. Bei einer Tasse Kaffee hatte man wenigstens etwas zu tun, auch wenn man mit lauwarmer, dünner Plörre vorliebnehmen musste.
“Ob er wohl meine Telefonate abhört?”, fragte sie.
“Viel zu viel Aufwand.”
“Meinst du, er lässt uns beschatten? Damit er überprüfen kann, ob wir eventuell zur Polizei laufen?”
Unwillkürlich ließ Josh den Blick in die Runde schweifen. Nach Rom – wo ihnen nicht nur die Polizei, sondern auch der später selbst ums Leben gekommene Attentäter und Grabräuber gefolgt war – lag auf der Hand, dass es gegen solche Nachstellungen keinen absoluten Schutz gab. Es war also nicht ausgeschlossen, dass Quinns Entführer jemanden auf sie angesetzt hatte.
Er begleitete Gabriella zu einem Tisch, reihte sich dann in die Schlange ein, kaufte zwei Tassen Kaffee, zwei Muffins sowie zwei Äpfel und packte alles auf ein beschichtetes Tablett. “Du musst was essen”, mahnte er dabei.
Gabriella verschmähte den Imbiss, nahm nur den Kaffee und nippte. “Hast
du
denn jemandem gesagt, wohin wir fahren?”, fragte sie.
“Niemandem außer Malachai. Der hat es möglicherweise an Beryl weitergegeben. Aber der Entführer braucht doch bloß nach Archäologen zu googeln, die auf alte Sprachen spezialisiert sind. So viele gibt es ja nicht, nicht wahr? Du,
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