Der Memory Code
tiefschwarzen Himmel. Schwarz ohne jeden Hauch von Farbe. Schwarz … Black … Wie hieß noch einmal der Mann, den sie erwähnt hatte? Black? Nein – Blackie. Der Name kam ihm bekannt vor, doch warum, das wollte ihm nicht einfallen. Mit geschlossenen Augen stützte er die Stirn gegen die Scheibe und versuchte, alles Denken auszuschalten. Irgendetwas regte sich, aber so vage wie ein flüsternder Hauch, den er nicht zu fassen bekam.
Blackie?
Auf einmal war er davon überzeugt, dass er den Namen schon einmal gehört hatte, ehe Rachel ihn erwähnt hatte. Blackie? Blackie? Blackness? Blackwell? Genau! Das war’s!
Als Josh sagte ihm dieser Namen nichts, dessen war er ganz sicher. Aber als Percy Talmage kannte er ihn. Titus “Blackie” Blackwell war einer der Mitglieder des Phoenix Klubs gewesen, der Mann, der nach Rom gereist war, um den Archäologen zu beaufsichtigen, diesen … Und jetzt, schlagartig, als schösse eine Stichflamme hoch, fiel ihm auch der Rest ein!
Percys Schwester Esme war nach Rom gefahren. Sie war Blackies Geliebte. Konnte es vielleicht sein, dass Rachel sich an Esmes Leben erinnerte? Dass sie Percys Schwester war? Mit einem Male fügte sich alles zusammen – ein Wirbel aus Farben und Gestalten, aus denen sich am Ende eine erkennbare Form bildete.
“Was ist?”, fragte Gabriella.
“Ich dachte, du schläfst.”
“Ich bin eben aufgewacht. Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.”
“Sag mal, hältst du es für möglich, dass das Grab schon einmal geöffnet wurde? Vor etwa hundert Jahren?”
“Ausgeschlossen.”
“Und wenn man den Stollen benutzt hätte, auf den ich gestoßen bin?”
“Nein, der war ebenfalls unberührt. Sonst hätten wir doch was gefunden. Warum fragst du?”
“Was ist mit der Schatulle, in der die Steine waren? Könnte die denn vorher schon mal geöffnet worden sein?”
“Wie denn, wenn das Grab zu war? Nein, das Kästchen war verschlossen. Das hat über tausend Jahre lang keiner geöffnet.”
Falls dem so war, waren alle Möglichkeiten erschöpft. Besonders dann, wenn Rollins recht behielt mit der Nummerierung.
“Es sind nicht nur sechs Steine.”
“Wie bitte? Ich versteh ni…”
Er ließ sie nicht ausreden. “Hör zu. Du und Rudolfo, ihr habt gar nicht alle Juwelen gefunden. Ich fasse es nicht, dass uns das nicht schon eher eingefallen ist! Es gibt einen zweiten Satz Juwelen … weitere sechs, die in einem anderen Grab gelegen haben müssen. In einem, das Neely gefunden hat. Insgesamt handelt es sich um zwölf Edelsteine, Gabriella! Deshalb sind die Ziffern so beliebig!”
In ihren Augen erschien ein Leuchten, das aber schnell erlosch. “Nein, das kann nicht stimmen. Ist dir klar, was das bedeutet, wenn du recht hast? Wenn wir diesem Verrückten Larrys Übersetzung geben, dann merkt er doch, dass es zwölf Steine gibt! Dann denkt er, Rudolfo und ich hätten sie gefunden und versteckt! Und dann nimmt dieser Albtraum nie ein Ende! Wenn wir ihm aber eine gefälschte Übersetzung zuspielen und sie nicht funktioniert …”
“Gabriella! Der Kerl muss doch wissen, dass er es mit einer Legende zu tun hat …”
“Vielleicht irrst du dich ja, und die Zahlen haben eine ganz andere Bedeutung. Und wieso sollten die Juwelen denn nicht alle an einem Ort sein?”
Den Arm um ihre Schulter gelegt, umfasste er ihren Kummer und ihre Verzweiflung und wünschte, er könnte gleichzeitig den Schmerz von ihr nehmen, ihn mit dem eigenen Körper, mit der eigenen Haut aufsaugen.
Der Augenblick erschien ihm nicht vertraut, ebenso wenig wie Gabriellas frischer, grasiger Duft mit dem Hauch von Honig. Sein Empfinden aber, das war etwas anderes. Die emotionale Wucht seiner Erinnerungen traf ihn so unerwartet, dass er die Augen schloss. Einst hatte er einen Schmerz wie diesen mit jemandem geteilt. Mit der Frau, die er verloren hatte. Der Schmerz war einer der Fäden, mit denen sie in der Vergangenheit und durch die Zeiten hindurch verwoben waren. Konfrontiert mit dem ungewissen Schicksal ihres ungeborenen Kindes, hatten Julius und Sabina sich in ihren Umarmungen vor Kummer verzehrt.
“Was mache ich bloß?”, fragte Gabriella.
“Du gibst diesem Irren alle zwölf Steine. Und die komplette Übersetzung obendrein.”
“Aber wie?”
“Ich werde sie für dich finden.”
59. KAPITEL
N ew York City – Mittwoch, 02:00 Uhr
“Ich komme mir so hilflos vor”, klagte Gabriella, als sie zusammen das Terminal verließen. “Irgendwie entgleitet mir alles. Ich
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