Der Memory Code
vernahm. War das etwa schon Rachel?
Der dritte Rahmenschenkel sah genauso aus wie die ersten beiden.
Ja, das war Rachels Stimme; offenbar bat sie um etwas. Wasser vielleicht? Es spielte keine Rolle. Josh nahm das vierte Rahmenstück – und da stieß er auf das Gesuchte.
Er legte es mit dem mitgebrachten Taschenmesser frei und versuchte zu ziehen. Nichts. So ging das nicht. Er schaute schärfer hin. Dort, wo die Maserung von rechts nach links verlief, befand sich eine kleine Erhöhung.
Vielleicht …
Mit der Messerklinge schraubte er den gewundenen Holzstift heraus.
Eine Feder quietschte.
Ein Geheimfach kam zum Vorschein.
Josh wagte nicht zu atmen.
Der Raum ringsum war vergessen. Es gab nur dieses Stück Holz und den darin verborgenen Hohlraum. Das herrliche Bild, die Leute draußen – all das trat in den Hintergrund. Er kippte den Rahmenschenkel und schüttelte ihn.
64. KAPITEL
“W as machen Sie da?” Harrison stand an der Tür, offenbar nur mühsam seine Empörung kaschierend.
Wie viel hatte er gesehen? Was mochte er wohl denken?
Rachel lachte – ein kristallklares Perlen, hell wie plätscherndes Wasser. “Also, wissen Sie, Barton, Sie können doch nicht einfach ungefragt ein Bild auseinandernehmen!”
Josh tat so, als könne ihn kein Wässerchen trüben. “Doch, doch – bei der Summe, die ich dafür ausgeben soll, kann ich das schon. Ich gucke mir immer erst die Bilder ohne Rahmen an. Rahmen lenken nur ab, um es gelinde auszudrücken.”
Gerade erst vor einer Stunde hatte Rachel dies mit ihm durchgespielt. Viele Sammler pochten darauf, das Bild außerhalb des Rahmens begutachten zu können. Insofern klang seine Begründung durchaus plausibel.
“Und dazu zerlegen Sie den Rahmen in seine Einzelteile?”
“Ja. Um ihn auf Echtheit zu prüfen.”
Auf ein Knie gestützt, inspizierte Harrison sein Gemälde, indem er den Blick von links nach rechts über die Leinwand schweifen ließ und wieder zurück. Josh und Rachel oder die auf dem Boden liegenden Rahmenschenkel nahm er dabei gar nicht wahr.
“Was sollte das denn nun eigentlich?”, fragte er, indem er eines der Holzstücke aufhob und prüfend beäugte.
Josh wusste nicht, wie lange Harrison Shoals hinter ihm gestanden hatte. Ob ihm etwas aufgefallen war? Was würde er wohl machen, falls Josh sich verabschieden wollte? War Josh in Gefahr? Oder Rachel etwa? Sie hatte ihm gesagt, dass Harrison eine Waffe besaß. Trug er die wohl bei sich? Vermutlich. Wenn man einem Besucher ein Gemälde im Wert von vier Millionen Dollar zeigte und eine Schusswaffe besaß, ließ man die sicher nicht in der Schublade liegen.
“Das Gemälde ist wunderschön”, antwortete Josh. “Aber der Rahmen passt nicht dazu.”
Harrison guckte ihn an, als zweifele er an seinem Verstand. “Wen schert denn der Rahmen? Das ist ein Caravaggio!”
“Es könnte
aus der Schule
von Caravaggio stammen, richtig. Der Rahmen ist jedenfalls kein Original.” Josh wusste, dass dies ein völlig irrelevanter Kommentar war, aber das war ja gerade der Clou. Er musste vor Harrison überzeugend den Exzentriker markieren; nur so wirkte das Zerlegen des Rahmens einleuchtend. Das, wozu er gekommen war, hatte er geschafft; nun war es höchste Zeit, den Rückzug anzutreten.
“Vielen Dank, dass Sie es mir gezeigt haben.” Er verabschiedete sich mit einem Nicken, wandte sich zur Tür, fasste schon nach der Klinke und wollte die Tür gerade öffnen, als …
“Das würde ich an Ihrer Stelle bleiben lassen, Mr. Lipper.”
Die Waffe, ein kurzläufiger Revolver, kalt-schwarz und handlich, war genau auf Josh gerichtet.
65. KAPITEL
“W arum setzen Sie sich nicht wieder hin und zeigen mir, was Sie sich in die Tasche gesteckt haben, als ich hereinkam?”
“Harrison, mach dich nicht lächerlich! Willst du Mr. Lipper etwa unterstellen, er …”
“Rachel, bitte! Also, Mr. Lipper! Was haben Sie da vorhin verschwinden lassen?” Shoals war bemüht, Josh im Blick zu behalten, gleichzeitig aber auch den gesamten Raum. Als er merkte, dass dies nicht klappte, entschied er sich für Josh und bat Rachel nachzusehen, ob etwas fehlte. “Liegt der Fabergé-Brieföffner noch auf dem Schreibtisch?”
“Ja, sicher! Harrison, das gibt’s doch gar nicht, dass Mr. Lipper hier …”
“Daneben müsste ein kleiner Rahmen liegen. Emailmalerei. Mit Rubinen.”
“Alles da. Jetzt nimm endlich das Ding herunter!”, bat sie. Ihre Stimme zitterte, aber das störte Josh nicht. Es durfte Harrison eigentlich
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