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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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drei der Wände. Die vierte war leer. Vor ihr stand ein mit Auslegeware bespanntes, stufenförmiges Podest, gleichsam wie eine kleine Bühne kurz vor Beginn einer Aufführung.
    Die junge Dame bot Josh eine Erfrischung an. Er bat um ein Glas Wasser, das sie sogleich holen ging. Einige Minuten verstrichen. Josh stand nicht auf, um die Bilder näher in Augenschein zu nehmen. Es hätte ihn nur abgelenkt, und er wollte sich auf das konzentrieren, weswegen er hergekommen war.
    Kurz nachdem die Assistentin das Glas Wasser gebracht hatte, trat Harrison Shoals ein. Groß gewachsen und stattlich, gab er äußerlich ein passendes Gegenstück zu der umwerfend attraktiven Rachel ab.
    “Mr. Lipper, es ist mir ein Vergnügen.” Er begrüßte Josh mit einem knappen Händedruck. “Rachel hat eben angerufen. Ihr Taxi steckt im Feierabendverkehr fest. Mittlerweile ist in New York ja wirklich zu jeder Zeit Stoßverkehr … Möchten Sie erst auf sie warten oder sich schon einmal das Bild ansehen?”
    “Lieber das Bild. Mein Terminkalender ist ziemlich voll.”
    Harrison verschwand und kam kurz darauf mit einer gerahmten Leinwand zurück. Mit spitzen Fingern hielt er sie so, dass Josh nur die Rückseite, nicht aber das eigentliche Bild sehen konnte. Anschließend stellte er das Gemälde auf die oberste Stufe des Podests, trat einen Schritt zurück, rückte es etwas zurecht und gab dann den Blick frei.
    Rachel hatte recht. Es ein Meisterwerk zu nennen reichte nicht. Es war eine künstlerische Großtat, eine strahlende, hinreißende Neuerschaffung der Wirklichkeit, beeindruckend lebensecht und kraftvoll. Schon nach Sekunden des Betrachtens vergaß man, dass es sich lediglich um eine flache, von einer Mischung aus Öl und Pigmenten bedeckte Oberfläche handelte. Es war eine Welt für sich. Dass sie mit Farbe und Pinsel erschaffen worden sein sollte, dass sie nicht lebte und atmete, sondern gleichsam in einem bestimmten Moment erstarrt war, mochte man gar nicht glauben.
    “Großartig, nicht wahr?”
    “Ja. Im Vergleich dazu ist alles andere …” – Josh musste nach Worten ringen – “… nur Malerei.”
    “Sie sagen es.”
    Josh stand auf und trat auf das Bild zu. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich in diesen Anfangsmomenten mit dem Rahmen vertraut zu machen. Zuvor hatte er eine halbe Stunde lang übungshalber vier von Rachels Bildern auseinandergenommen. Selbst wenn alles wie am Schnürchen klappte, würde er bestenfalls ein paar Minuten mit dem Bild allein sein. Er musste sich also sputen. Jedoch konnte er sich nicht von den sinnlichen Augen des Bacchus losreißen, von seinen üppigen Lippen, von der Verlockung im Blick des jugendlichen Gottes.
    “Mr. Shoals?” Die Assistentin stand im Türrahmen.
    “Ja?”
    “Miss Palmer fragt, ob Sie kurz nach unten kommen könnten. Sie ist beim Aussteigen aus dem Taxi gestolpert.”
    “Oh, bitte, lassen Sie mich das machen!”, rief Josh, wobei er ehrlich besorgt tat. “Sie ist schließlich meinetwegen hier …”
    “Aber nein, kommt nicht infrage! Wenn es Ihnen nichts ausmacht, lasse ich Sie kurz mit Bacchus allein. Bei ihm sind Sie in allerbester Gesellschaft.”
    Joshs Herz pochte dermaßen laut, dass er schon fürchtete, Terry könnte es womöglich hören und zurückkommen. Er nahm das Gemälde vom Podest, und als er es umdrehte, schien es fast so, als fließe ein Teil der Energie aus dem Raum. Nun war das Bild bloß noch Leinwand und vier zusammengefügte Holzstücke.
    Seinerzeit bei der Auktion hatte Rachel das Werk bei einer näheren Begutachtung auch von hinten gesehen. Das Gemälde aus dem Rahmen zu lösen war ein Kinderspiel, hatte sie ihm erklärt. Er brauchte nur die vier Keile herauszuziehen, mit denen die Leinwand am Holz befestigt war.
    Am ersten Keil nestelte er noch umständlich herum, doch beim zweiten ging es schon besser, und die letzten beiden schaffte er im Handumdrehen. In weniger als sechzig Sekunden war die Leinwand herausgelöst, und Josh hatte den leeren, barocken goldenen Rahmen vor sich.
    Hastig, beinahe leichtfertig und ohne Rücksicht darauf, ob er das Holz oder das Blattgold zerkratzte, zerlegte er den Rahmen. Dabei folgte er genau Esmes Hinweisen, die Rachel unter Hypnose weitergegeben hatte. Er inspizierte jeden einzelnen Rahmenschenkel von oben nach unten, tastend, prüfend, drückend, forschend. Bei den ersten beiden blieb er ohne Erfolg, und allmählich wurde die Zeit knapp. Er nahm sich gerade den dritten vor, als er von draußen Geräusche

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