Der Memory Code
herausfinden wollten, was da mit Ihnen geschieht?”
Josh hatte erwartet, dass ihre Stimme klinisch und kalt klingen würde, so wie sonst auch die Ärzte sprachen. Sie klang aber zärtlich. Mitfühlend. Vielleicht hatte er sie falsch eingeschätzt. Konnte er es riskieren und ihr den Rest seiner Vergangenheit erzählen? Würde Gabriella ihn verstehen?
“Sobald sich herausstellte, dass mir körperlich nichts fehlte, verlor Emma allmählich die Geduld mit mir und meiner Macke, wie sie das nannte. Ich hatte diesen Tick im Grunde auch über, aber ich konnte mich einfach nicht davon lösen. Ich musste erfahren, was mit mir los war. Ich musste … nein, ich muss das auch weiterhin begreifen, nicht nur, ob ich wiedergeboren wurde, sondern weil ich überzeugt bin, dass es eine Frau gibt, die mit all diesen Vorgängen etwas zu tun hat. Eine, die ich von früher kenne und wiederfinden muss.” Er schüttelte den Kopf, frustriert darüber, dass er es nicht eloquenter erklären konnte.
“Hat es etwas mit unserer Ausgrabung zu tun?”
“Ich glaube, ja.”
“Mit Bella?”
Er nickte. “Sie heißt Sabina.”
Gabriella schüttelte ganz langsam den Kopf, als ginge ihr jetzt erstmals ein Licht auf. “Sie glauben, Sie kennen sie aus der Vergangenheit?”
“Ich weiß nicht, was ich glauben soll.”
“Das muss sehr schwer für Sie sein.”
Ihre Worte erschienen ihm wie eine Umarmung. Einige Augenblicke lang war er mit sich in Frieden, wie er es schon monatelang nicht gewesen war.
Ihr Handy dudelte los – nach Joshs Geschmack besonders laut, besonders aufdringlich. Sie guckte nach der Nummer auf dem Display.
“Mein Vater.” Ihre Stimme hörte sich verzerrt an, ähnlich wie eine überstimmte Geigensaite. Sie klappte das Handy auf. “Hallo, Dad. Alles in Ordnung mit Quinn?” Beim Zuhören entspannten sich ihre Züge. “Warte mal.” Die Hand über das Mikro gelegt, sah sie Josh an. “Er rief schon vorhin an, als wir in der Klinik waren, und ich hatte ihm versprochen, ihn zu informieren. Bin gleich wieder da.”
Josh hätte, als sie aufstand und das Zimmer verließ, aufstehen und sich verabschieden können, aber noch war er nicht so weit. Er wollte mit ihr über das reden, was sie und der Professor in der Schatulle gefunden hatten.
Während ihrer Abwesenheit nahm Josh seine Kamera und trat ans Fenster. Schon vorher war ihm die Aussicht aufgefallen, und nun wollte er versuchen, sie auf Fotos zu bannen: ein Stück des Petersdoms vor einem dunkelblauen, von grauen Wolkenfasern durchzogenen Himmel. Im Sucher wurde daraus eine düsterbedrohliche Szenerie mit seltsam schillernden Vögeln, die senkrecht auf die Kuppel des Petersdoms niederstießen, als wären sie Kamikaze-Flieger.
Als er zum Couchtisch zurückging, um sein Glas aufzunehmen, kam er an Gabriellas Schreibtisch vorbei. Darauf lag ein aufgeschlagenes Notizbuch, aus dem eine Reihe Fotos gerutscht waren. Den Rücken zum Zimmer, um Gabriella die Sicht zu versperren, falls sie plötzlich wieder eintreten sollte, fiel es ihm leicht, die Bilder etwas auszubreiten. Bei den ersten dreien handelte es sich um Nahaufnahmen von Sabina, und zwar bei besseren Lichtverhältnissen aufgenommen, als Josh sie in der Morgendämmerung gesehen hatte. Wieder verspürte er diese innere Verkrampfung – so wie beim ersten Mal. Ein unmissverständliches Gefühl. Sollte es tatsächlich möglich sein, dass dies die sterblichen Überreste der Frau waren, die ihm seit dem Attentat keine Ruhe ließ?
Nicht! Geh nicht dorthin!
, mahnte er sich selbst.
Noch nicht. Nicht hier, wo du möglicherweise nicht ankommst gegen das Gefühlswirrwarr, das dich überfällt, wenn du dich ihm ergibst.
Das nächste Foto zeigte die mit Schnitzereien verzierte Schatulle, die der Wachmann zu Boden geschleudert und zerstört hatte.
Unter dem Bild steckte noch eine Aufnahme, darauf vor einem weißen Hintergrund sechs große, in mannigfaltigen Farben schimmernde Steine, ebenfalls in Nahaufnahme: drei gleichfarbige Smaragde, ein blutroter Rubin und zwei tiefblaue Saphire.
Josh starrte sie an.
Der Schatz der verlorenen Erinnerung.
Auf ihrer Oberfläche trugen sie Einkerbungen, die er nicht entziffern konnte, ganz anders als alle Hieroglyphen, die Josh bisher gesehen hatte.
Nein. Das stimmt nicht.
Du hast sie schon einmal gesehen. Vor so langer Zeit, dass du dich nicht bewusst daran entsinnen kannst. Schau sie dir an. Erkenne sie als das, was sie sind.
“Was erlauben Sie sich?” Ihre Stimme war
Weitere Kostenlose Bücher