Der Memory Code
sieben meldete Malachai sich endlich auf seinem Handy und erklärte, er sei den ganzen Tag in der Botschaft gewesen und habe versucht, über die diplomatischen Kanäle Joshs Freilassung zu erwirken. Das habe dann aber Gabriella übernommen – wofür er sie bewundere –, und danach, so Malachai, habe er sich noch um eine Ausreiseerlaubnis für Josh gekümmert.
“War aber nicht gerade vom Glück verfolgt. Die italienischen Behörden wollen dich nicht ausreisen lassen. Weil du Zeuge eines bewaffneten Raubüberfalls bist.”
“Na, Hauptsache, sie verdächtigen mich nicht …”
“Das ist das nächste Problem. Es gibt da Andeutungen, dass man dich für verdächtig hält.”
“Aber ich habe der Polizei doch eine Täterbeschreibung geliefert und alles ausgesagt!”
“Alles?”
“Verdammt noch mal, Malachai!”
“Ich bezweifle ja, dass man dich wirklich verdächtigt. Aber auf jeden Fall sollst du bleiben, bis der Kerl gefasst ist. Du bist eben der einzige Zeuge.”
Die Aussicht, hier in Rom festzusitzen, behagte Josh überhaupt nicht. Die unheimlichen Reinkarnationsanwandlungen setzten ihm zu und waren nur zu realistisch, zu beängstigend, zu verwirrend. Zuweilen wusste er nicht mehr, ob er nun in der Gegenwart lebte oder in der Vergangenheit.
“Der Professor war auch Zeuge.”
“Wie geht’s dem überhaupt?”
“Nicht besonders.”
Malachai seufzte. “Schnapp dir Gabriella und komm zum Hotel, dann essen wir gemeinsam zu Abend. Sie kann doch nicht die ganze Zeit am Krankenbett hocken!”
“Ich versuch’s. Ich glaube aber nicht, dass sie sich überreden lässt. Und alleine hält sie das in ihrem Zustand nicht durch. Ich bleibe bei ihr.”
Doch so einfach war die Sache nicht. Josh ahnte, dass es seine Pflicht war, bei ihr zu bleiben und ihr während der Krankenwache nicht von der Seite zu weichen. Es war gleichsam eine Art Buße. Und obwohl er es nicht erklären konnte, war ihm eines dabei klar: Buße und Verpflichtung hin oder her – es würde nicht genügen.
Als Gabriella kurz vor zehn wiederkam, ging es Rudolfo etwas besser. Die Ärzte hatten sie aus dem Krankenzimmer gewiesen und nach Hause geschickt.
Draußen war es dunkel, und Josh sah sich argwöhnisch um. “Es würde mich nicht wundern, wenn die Presse hier auf der Lauer liegt und uns abpasst”, erklärte er. “Sieht aber so aus, als ließen sie uns in Ruhe.” Er hatte mit Charlie Billings gerechnet, doch seine Wachsamkeit war auch eine Vorsichtsmaßnahme. Dass er womöglich in Gefahr schwebte, machte ihn noch misstrauischer als sonst, zumal Gabriella bei ihm war. Sie gingen zu ihrem Wagen, wo sie ihm den Autoschlüssel gab. Sie selber war zu ausgelaugt, zu benommen und deswegen nicht fahrtüchtig. Während sie Josh durch die Straßen lotste, versagte ihr mehrmals die Stimme.
Die graue Limousine folgte ihnen bis zu einem fünfstöckigen Wohnkomplex, der sich, nach Joshs Eindruck gut an die hundert Jahre alt, in eine enge Gasse unweit des Vatikan zwängte. Josh war inzwischen ziemlich sicher – und erleichtert zugleich –, dass es sich bei den Verfolgern um ein Polizeiauto handelte, und deshalb parkte er einfach, ohne dem grauen Wagen auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
Danach begleitete er Gabriella ins Haus, wobei er gar nicht groß fragte, ob ihr das überhaupt recht war. Er hatte Malachai gegenüber behauptet, in ihrem Zustand könne sie nicht allein bleiben. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: er auch nicht.
Er hatte gehofft, sie würde eine Flasche Scotch in der Küche haben, musste sich aber mit Cognac begnügen. Die Gläser waren dort, wo er vermutet hatte – im Unterschrank gleich neben dem Spülbecken –, und er schenkte einfach ein, ohne auf ein Maß zu achten. Als er ihr dann den Drink in die Hand drückte, hob sie den Schwenker an die Lippen, als wäre sie in Trance. Eine ganze Weile blieben beide stumm.
Im Wohnzimmer befanden sich nur wenige persönliche Gegenstände außer etlichen Bücherstapeln und einer großen, ledergerahmten Fotografie eines etwa dreijährigen Mädchens, das in die Kamera lächelte. Selbst in diesem frühen Alter war die Ähnlichkeit mit der Mutter verblüffend. Die Augen hatten dieselbe goldbraune Färbung, doch während in Gabriellas Blick eine Mischung aus Neugierde und gezügelter Energie lag, war er bei dem Mädchen eher verträumt und sanftmütig.
Als sie merkte, wie er das Bild betrachtete, erwachte Gabriella zum ersten Mal aus ihrer Lethargie. “Das ist Quinn”, sagte
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