Der Memory Code
eiskalt.
26. KAPITEL
E s klingelte an der Tür, und Gabriella und Josh mussten ihre Diskussion auf später vertagen. Sie spähte durch den Spion und stieß einen unterdrückten Kraftausdruck aus. Schnell ging sie zum Schreibtisch, schob die Fotografien zusammen, legte sie in das Notizbuch und klappte es zu. Danach erst machte sie die Tür auf.
Draußen stand Commissario Tatti. Falls er erstaunt war, hier auf Josh zu treffen, gelang es ihm ziemlich gut, sich nichts anmerken zu lassen.
“
Buonasera, Professoressa
. Ich hoffe, mein Besuch kommt nicht ungelegen.”
“Muss das sein? Es ist sehr spät.”
“Ich wäre auch viel lieber daheim.”
“Prego”, murmelte sie mit einer einladenden Handbewegung.
Er trat ein, begrüßte Josh mit einem Nicken und setzte sich auf die Couch. Gabriella nahm ihm gegenüber Platz, während Josh vor dem Schreibtisch, wo Gabriella ihn beim Stöbern erwischt hatte, stehen blieb.
“Der Wachmann, der angeblich gestern früh an der Ausgrabung Dienst hatte, wurde vor ein paar Stunden tot aufgefunden. Er heißt Nino Saccio. Er wurde erschossen, die Leiche dann in den Eichenwald oberhalb der Ausgrabung geschleppt und dort versteckt. Nackt. Die Carabinieri haben sie gefunden. Den Motorroller ebenfalls.”
“Nino? Nein!” Sie schloss die Augen. Die Nachricht nahm sie offenbar sehr mit. Nach den Krisen der letzten zwei Tage sowie der Tatsache, dass ihr Mentor mit dem Tode rang und der Schatz verschollen war, ging eine neuerliche Hiobsbotschaft allmählich über ihre Kraft.
Tatti wartete einen Moment und bat sie dann um ein Glas Wasser – nach Joshs Gefühl nicht etwa, weil er Durst hatte, sondern weil er Gabriella Gelegenheit geben wollte, für einen Moment das Zimmer zu verlassen und sich zu fassen.
Als sie mit dem Glas zurückkam, trank er es in einem Zug leer und konfrontierte die Archäologin übergangslos mit seiner ersten Forderung. “Sie müssen mir sagen, was geraubt wurde.”
“Was tut denn das noch zur Sache? Weg ist weg.”
“Ich muss wissen, für wen die geraubten Kulturgüter wohl den größten Wert haben.”
Josh hätte ihm die entsprechende Auskunft geben können. Aber er hätte sich dadurch womöglich abermals verdächtig gemacht und dem Commissario nur das lang ersehnte Motiv geliefert. Er sah Gabriella an. Würde sie ihn und Malachai nennen?
“Es gibt Zigtausend Sammler von antiker Kunst. Für die wäre alles in der Grabkammer von Wert”, sagte sie ausweichend.
“Ja, aber wie hoch ist der? Um was für Summen geht es hier?”
“Was für einen Verkaufserlös müsste etwas erbringen, dass es zwei Menschenleben wert wäre?”
“Genau das würde ich gerne von Ihnen hören.”
“Keine Ahnung. Entzieht sich meiner Kenntnis, wo der Schwarzmarktwert eines antiken Kunstobjektes liegt. Interessiert mich auch nicht.”
“Es tut mir leid, aber wir müssen unbedingt wissen, was aus der Krypta geraubt wurde. Wir brauchen eine komplette Aufstellung – inklusive genauer Beschreibung. Wir müssen die hiesigen Behörden und auch Interpol verständigen, dazu die Kunstgesellschaften in aller Welt. Wenn wir nicht wissen, was auf dem Spiel steht und wer an der Ware interessiert sein könnte, geht uns der Räuber durch die Lappen. Dann kriegen wir unseren Übeltäter nie.”
Den Blick in unbestimmte Fernen gerichtet, sah Gabriella über Tattis Schulter hinweg durchs Fenster. Tatti beugte sich gespannt vor.
“Offenbar handelt es sich um Kultobjekte. Aber was sie zu bedeuten haben, wissen wir nicht.”
“Können Sie sie beschreiben?” Er sparte sich den Hinweis, dass sie ihn zuvor angelogen hatte. Vermutlich war er sowieso davon ausgegangen.
“Es blieb uns keine Zeit mehr, sie genauer zu untersuchen, doch sie sahen aus wie gewöhnliche Glasperlen. Wie sie für die Epoche typisch waren.”
“Und welche Epoche wäre das?”
“Nach unseren Schätzungen gehen sie zurück auf mindestens 1000 vor Christus, wenn nicht noch früher. Das konnten wir aber noch nicht überprüfen. Wir hatten sie ja gerade erst gefunden.” Es hörte sich so an, als sei es ihr ziemlich egal; als hätte sie inzwischen so viel erklärt, dass auch ihr letztes bisschen Energie verbraucht war.
“Wie viele?”
“Wie viele was?”
“Glaskugeln.”
“Fünf, vielleicht sieben. Eine Handvoll.”
“Und was für einen Wert hatten die Ihrer Meinung nach?”
Unbezahlbar!, hätte Josh am liebsten dazwischengerufen. Der Wert meines Lebens! Der Preis meiner Seele! Aber er hielt den Mund,
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