Der Memory Code
derselben Stelle lag. Auf diese Weise konnte man den Schatz finden, sollte man es einmal für erforderlich halten, ihn zu heben.
Schon Monate vorher, damals im heiligen Hain, hatte Sabina vorgeschlagen, die Steine an sich zu nehmen und mit dem Schatz aus Rom zu fliehen. Als oberste Priesterin kannte sie ja die geheime Stelle. Nunmehr fiel Julius wieder ein, wie er an jenem Morgen die Stadt mit Bangen verlassen hatte, mit dem Gefühl, die Lage für sie beide könne bedrohlicher kaum sein. Wie sie sich im Schatten der Bäume geliebt und im Teich gebadet hatten, wie er erfuhr, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Ein Kind und die Todesstrafe, beides gewissermaßen auf einen Streich.
“Du wirst doch sicher die Juwelen selber übernehmen”, sagte er nun zu Lucas.
Der wehrte kopfschüttelnd ab. “Jeder, der unsere Pläne nur einigermaßen erahnt, wird davon ausgehen, dass ich die Verantwortung für die kostbarsten Schätze übernehme. Und genau das soll man annehmen, wenn es nach mir geht. Deshalb werde ich als Erster untertauchen. Chaos wird ausbrechen; man wird munkeln, ich hätte die Steine in meinen Besitz gebracht. Als Nächste fliehen alle Vestalinnen und Oberpriester außer dir. Was es bis dahin an Verdächtigungen und Vermutungen gab, wird mit ihnen verschwinden. Unsere Schatzkammer wird leer sein; man wird glauben, alles von Wert sei fort. Niemand wird vermuten, dass der allergrößte Schatz noch zurückbleibt. Dann erst tauchst auch du unter.”
Der Druck ließ nach. Julius war, als habe Lucas ihn soeben gesalbt. Ein Kribbeln überlief seine Haut. Bei der Vorstellung, dass er seit Jahrhunderten der Erste sein sollte, der die Steine berühren durfte, wurde ihm ganz schwindelig.
Der Legende nach gehörten die Juwelen zu einem verborgenen Schatz, gehoben in Ägypten während der unseligen Grabraub-Belagerung zu Zeiten der Zwanzigsten Dynastie. Sie wurden in den Schatztruhen von Ramses III. entdeckt. Danach gingen sie in den Besitz des nubischen Herrschers Pianchi von Kusch über, der, ursprünglich aus dem Sudan stammend, die ägyptischen Reiche unterwarf und die nubische Oberherrschaft begründete. Doch ein niederes Mitglied der ägyptischen Königsfamilie raubte die Juwelen, und so geriet der Schatz in die Hände von Numa Pompilius, dem zweiten König von Rom, und zwar als Tributzahlung eines Prinzen, der um Asyl gebeten hatte.
Als Numa die Steine erhielt, war bereits weit und breit bekannt, dass sie ein uraltes Hilfsmittel darstellten, dessen man sich bediente, um sich an vergangene Leben zu erinnern. Das Geheimnis ihres Gebrauches indes war bereits seit Langem verschollen. Offenbar trug ein jeder Stein eine Inschrift aus Symbolen, doch niemand am Hofe des Numa Pompilius konnte die Hieroglyphen entziffern. Der König setzte deswegen eine ansehnliche Belohnung aus, sodass von nah und fern die Gelehrten anreisten, um sich an der Übersetzung der Zeichen zu versuchen. Dass alle Bemühungen letztendlich erfolglos blieben, bestärkte Numa nur in seiner Entschlossenheit, die Zauberkräfte der sagenhaften Steine zu entschlüsseln.
Ja, er wollte die Geheimnisse seiner Vergangenheit erfahren, auf dass seine Seele Frieden finde. Andererseits lag ihm genauso viel daran, mithilfe der Juwelen Macht und Reichtum zu erlangen, sämtliche Schätze und Mysterien zu finden, welche der Zivilisation schon vor langer Zeit verloren gegangen waren.
Jahr um Jahr erhöhte er die ausgesetzte Belohnung, bis die Summe zum Zeitpunkt seines Todes angeblich sage und schreibe ein Viertel seines gesamten Besitzes betrug. Noch immer wusste niemand die Zeichen auf den Steinen zu entziffern und damit ihre magische Kraft zu entfalten.
Wie zahlreiche andere glaubte auch Numa Pompilius, er werde nach dem Tode in einem anderen Körper wiederkehren, um seine Herrschaft in Rom fortzuführen. Konnte er schon zu Lebzeiten nichts von den Steinen erfahren, so wollte er doch zumindest dafür sorgen, dass er im nächsten Leben noch einmal die Gelegenheit dazu erhielt. Also gab er kurz vor seinem Tode bekannt, dass er zwei Frauen, Getania und Verenia, zu Hüterinnen des Heiligen Herdes ernannt hatte. Sie sollten die ewige Flamme am Leben erhalten und dafür Sorge tragen, dass das Feuer in Rom nie ausgehe. Nach der Göttin Vesta verlieh er den Hüterinnen den Titel “Vestalinnen”, stattete sie mit Ehren und Machtfülle aus, verpflichtete sie zu Keuschheit und stellte Nachfolgeregeln auf, damit ihr Orden bis weit in die Zukunft Bestand haben
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