Der Memory Code
ihrem Tempel. Sabina hatte Vorkehrungen treffen lassen: Busch- und Strauchwerk rund um die Bauten war gekappt; zu jeder Tages- und Nachtzeit standen Feuerwachen mit wassergefüllten Eimern in Bereitschaft.
Den rötlichen Feuerschein am Himmel vor Augen, erinnerte Julius sich an jene Nacht vor fünf Jahren, als er schon dachte, Sabina sei in den Flammen umgekommen. Trotz der lauen Luft überlief ihn ein Frösteln. Seit jener Zeit hatte sie die Priesterinnen von mancherlei archaischen Regeln und etliche der Kulthandlungen von althergebrachtem Ballast befreit – alles Teil ihres Bemühens, die Vestalinnen weniger “fremdartig” erscheinen zu lassen und ihnen die Integration in die neue Gesellschaft zu erleichtern.
Doch so groß ihre Fortschritte auch sein mochten: Sie reichten nicht aus. Ein Gesetz, das nach wie vor Gültigkeit hatte, sollte sich schon bald als Sabinas Verderben erweisen.
Und für Julius desgleichen.
Er gab sich selber die Schuld. Er hätte der Versuchung widerstehen, die Verbindung abbrechen müssen, ehe es zum Äußersten kam. Doch er war zu hochmütig geworden, hatte das Schicksal ein ums andere Mal herausgefordert und letztendlich das Spiel verloren. Ein Lehrstück in Sachen Hybris. Doch der Held zog zu spät die Lehren daraus.
Wie kommt es nur, dass der Mensch ausgerechnet nach dem strebt, das ihm nicht zusteht?
Rom war keine Provinzstadt. Wie allen Männern waren auch den Priestern fleischliche Gelüste gestattet. Sie durften Bordelle aufsuchen und an orgiastischen Gelagen teilhaben. Julius hätte sich ohne Weiteres an wohlriechenden Frauenkörpern ergötzen oder sich mit ihm zusagenden Geschlechtsgenossen vergnügen können.
Der einzige Mensch aber, nach dem er sich je verzweifelt gesehnt hatte, der blieb ihm versagt. Wie hatte er nur so dreist sein können, dieses Wagnis auf sich zu nehmen, war doch die Strafe für das Zusammensein der Tod?
Er kannte die Antwort. Noch schlimmer als der Tod wäre es für sie beide gewesen, weiterzuleben und nicht zusammen sein zu können. Auf demselben Boden zu wandeln, sich aber nicht zu berühren, niemals Vertraulichkeiten zu raunen und nie im Liebesrausch ihrer Leiber versinken zu dürfen?
Am Ende des in Schweigen zugebrachten Teils ihres Spaziergangs gelangten Julius und Lucas auf die Lichtung am hinteren Rande des Begräbnisfeldes. Dort stand inmitten eines flachen Wiesenstückes ein Tempel mit gerundeter, von zwölf geriffelten Säulen getragenen Kuppel, umgeben von einem Garten mit niedrigen Gewächsen.
Obwohl hier weder Busch noch Baum in Hörweite wuchs, umkreisten die beiden Priester zunächst die Weihestätte. “Ich glaube nicht, dass uns jemand gefolgt ist”, vermutete Julius.
“Wir müssen Pläne schmieden”, betonte Lucas, nachdem die zwei sich unter der verkachelten Tempelkuppel niedergelassen hatten. “Und zwar bald. Es geht das Gerücht, dass der Kaiser wieder etwas ausgeheckt hat.”
“Etwa noch Schlimmeres?”
Lucas bejahte nickend. “Der Bischof von Mediolanum war hier. Gemeinsam haben sie die nächste Phase der Säuberung ausgearbeitet.”
“Weißt du schon, was sie diesmal umfasst?”
“Jegliche Form heidnischer Religionsausübung wird strengstens verboten, wenngleich sich das nicht durchsetzen lässt, wie wir wissen. Der Imperator wird verfügen, dass in der ganzen Stadt keine Opfer mehr dargebracht werden dürfen, auch nicht im häuslichen Kreis. Es wird uns nicht mehr erlaubt sein, Votivkerzen zu entfachen, Lampen anzuzünden, Wein und Weihrauch zu opfern, Kränze zu Ehren unseres Schutzgeistes oder unserer Hausgötter Lares und Penates aufzuhängen. Ein Verstoß wird zukünftig als Frevel und Hochverrat gewertet, ebenso wie das Weissagen aus Eingeweiden oder Brandopfern. Es verstößt sogar gegen das Gesetz, wer eine Schleife um einen Baum bindet oder ein Standbild schmückt. Ein solches Vergehen wird dem Vernehmen nach mit dem Verlust allen Besitzes geahndet. Schlimmer noch: Dieses kaiserliche Dekret heiligt unsere Vernichtung im Namen ihres Gottes.”
“Wie lange wird es dauern, bis dies alles seine Niederschrift im Gesetzeskodex findet?”
“Einen Monat, vielleicht zwei. Ich fürchte, in knapp einem Jahr sind alle Tempel dem Erdboden gleichgemacht. Von uns Priestern wird dann keiner mehr übrig sein.”
Geraume Zeit versanken beide in Schweigen – Julius deshalb, weil ihm das Gehörte ob seiner Unfassbarkeit die Sprache verschlug, und Lucas war völlig ausgelaugt von der Schilderung.
“Wir dürfen
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