Der Memory Code
uns nicht kampflos fügen”, verlangte Julius. “Wir müssen uns widersetzen.”
“Wir sind zahlenmäßig doch hoffnungslos unterlegen.”
“Du streckst also die Waffen?”
“Darüber will ich ja gerade mit dir reden. Ich überlege noch. Nur bin ich der Ansicht, dass ein Kampf Mann gegen Mann aussichtslos wäre.”
“Dann also List?”, hakte Julius nach.
“So sich die Möglichkeit dazu bietet.”
“Zumindest können wir unsere Reliquien und Kultobjekte vor Plünderern schützen, ehe wir untertauchen. Sie so in Sicherheit bringen, dass wir sie wieder an ihre angestammten Plätze stellen können, wenn der Kampf beendet ist und wir die Macht zurückerobert haben.”
“Der Kampf beendet und wir wieder an der Macht? Du bist ein Optimist, Julius. Ich hingegen habe so meine Zweifel.”
“Dann warten wir eben ab und beginnen woanders wieder von vorn. Der Imperator wird nicht ewig leben. Sein Nachfolger könnte mit dem Finger schnippen, und schon ist unsere Religion ebenso schnell wieder eingesetzt wie Theodosius seinen neuen Glauben zum Gesetz erhoben hat. Es geht nicht um hehre Ideale, sondern um Politik, und die ist Schwankungen unterworfen.”
Der Pontifex nickte auf eine Weise, die Julius an seinen Vater gemahnte. “Du hast gewiss recht. Die Möglichkeit bleibt uns immer. Ist man aber gerissen genug und verknüpft Politik und Religion so, wie es der Kaiser macht, ändert man ja nicht allein die Gesetzgebung. Man ändert auch das Denken und Empfinden der Menschen. Theodosis setzt auf die Angst vor allem Neuen. In jeder neuen Rede erinnert er die Bürger daran, dass sie sich nur dadurch einen Platz im Jenseits sichern, wenn sie den Kaiser und seinen neuen Glauben ehren. Sonst fallen sie der ewigen Verdammnis anheim, einer sogenannten Hölle, die er mit jedem Auftritt schrecklicher darstellt. Damit gelingt es ihm, Angst und Schrecken zu verbreiten. Ein jeder fürchtet sich, und zwar nicht bloß vor dem, was ihm zu Lebzeiten noch widerfahren mag, sondern auch davor, was ihn und seine Lieben nach dem Tode erwartet. Niemand wagt es, sich ihm zu widersetzen. Indem der Kaiser das Christentum mit dem weltlichen Gesetz verknüpft hat, hat er seine Macht um das Zehnfache gesteigert.”
Eine laue Brise strich über die beiden hin. Julius wäre es am liebsten gewesen, der milde Wind hätte gleichzeitig den Wandel hinweggefegt, der ihre alte Lebensweise bedrohte. Die vertraute Landschaft vor Augen, fragte er sich, ob die Zukunft es wohl gut mit dieser Stätte des Friedens meinen würde, oder ob dem Gräberfeld dasselbe Schicksal bevorstand, das auch so manchen Tempel schon ereilt hatte.
Der Wind war inzwischen abgeflaut, doch Julius war, als habe er weiter entfernt in den Zypressen eine Bewegung wahrgenommen. Er fasste den Pontifex beim Arm und wies mit dem Kopf in die Richtung.
Ein wenig später regte sich abermals etwas in den Zweigen, und schließlich konnte man deutlich erkennen, wie ein Ast schwankte.
Wie viele Lauscher mochten da auf der Lauer liegen und darauf warten, dass die beiden den sicheren Tempel verließen? Was war ihr Auftrag? Waren sie wohl auf Angriff aus, oder handelte es sich bloß um Späher, die auskundschaften sollten, was die Priester für Pläne hatten?
“Sollen wir’s wagen?”, fragte Lucas mit einem Blick hin zu der Fluchtklappe, die mit dem verschlungenen Fliesenmuster nahezu unsichtbar verschmolz – es sei denn, man wusste, wo man sie suchen musste.
“Falls sie schon wissen, dass wir hier sind, und wir dann plötzlich verschwinden, dann werden sie sicher suchen und möglicherweise unsere Geheimgänge entdecken. Das Wagnis dürfen wir nicht eingehen. Wir brauchen die Stollen, um aus Rom herauszugelangen, wenn es zum Äußersten kommt.”
“Du hast recht. Wir lassen es drauf ankommen, auch wenn das heißt, dass wir bis zum Morgen hier ausharren müssen. Bis dahin laufen hier schon wieder zu viele Menschen herum, sodass es für uns ungefährlicher wird. Noch ist unsere Stadt nicht an dem Punkt angelangt, wo man zwei Hohepriester ungestraft am helllichten Tage ermorden kann. Jedenfalls will ich das hoffen.”
Der Rest der Nacht verstrich langsam. Obwohl in den Bäumen keine Bewegung mehr erkenntlich war, waren die beiden Männer zu vorsichtig, als sich vor Tagesanbruch aus dem sicheren Tempel zu wagen. Im Flüsterton berieten sie über ihr weiteres Vorgehen.
Während der Plan Gestalt annahm, stellte sich nach und nach eines heraus: Bei entsprechender Vorsicht und raschem
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