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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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wusste Griffith von dem Grad des Kummers, dessen sie fähig war? Er erinnerte sich an seinen eigenen Schmerz, als Mildred ihm sagte, dass sie heiraten würde. Er wünschte niemandem, was er damals selbst durchgemacht hatte.
    »Wenn dir so viel daran liegt, dass sie nicht leidet, geh zu ihr zurück!«, sagte Griffith.
    »Das kann ich nicht.«
    Er stand auf und lief nervös im Zimmer auf und ab. Er war böse auf Norah, weil sie die Angelegenheit nicht auf sich hatte beruhen lassen. Sie musste doch gesehen haben, dass er keine Liebe mehr zu ihr empfand. Man sagte doch immer, dass Frauen so etwas sehr schnell spüren.
    »Du könntest mir helfen«, sagte er zu Griffith.
    »Mein lieber Freund, mach nicht so viel Aufhebens darum. Man kommt über solche Sachen hinweg – weißt du. Wahrscheinlich ist sie gar nicht so in dich verknallt, wie du es dir einbildest. Man überschätzt die Leidenschaft leicht, die man andern eingeflößt hat.«
    Er hörte zu sprechen auf und sah leicht amüsiert zu Philip hin. »Schau mal, es gibt nur eins, was du tun kannst. Schreib und sag ihr, dass es aus ist. Formuliere es so, dass kein Missverständnis möglich ist. Es wird ihr weh tun; aber es wird ihr weniger weh tun, wenn du die Sache brutal zu Ende bringst, als wenn du es mit halbem Herzen weiter versuchst.«
    Philip setzte sich hin und schrieb folgenden Brief:
Meine liebe Norah!
Es tut mir leid, wenn ich Dich unglücklich mache, aber ich glaube, es ist besser, wenn wir so verbleiben, wie wir uns am Samstag getrennt haben. Ich finde, es hat keinen Zweck, diese Dinge weiterzuschleppen, wenn sie keinen Spaß mehr machen. Du hast mir gesagt, ich solle gehen, und ich bin gegangen. Ich habe nicht vor zurückzukommen. Adieu!
Philip Carey
    Er zeigte Griffith den Brief und fragte ihn nach seiner Meinung. Griffith las ihn und sah Philip mit Augenzwinkern an. Er äußerte seine Ansicht nicht.
    »Das wird die Sache schon erledigen«, sagte er.
    Philip trug den Brief zum Briefkasten. Er verbrachte einen unbehaglichen Vormittag; denn er konnte sich sehr genau vorstellen, wie Norah zumute sein würde, wenn sie den Brief erhielt. Die Vorstellung, dass sie weinen würde, quälte ihn. Gleichzeitig aber atmete er erleichtert auf. Vorgestellter Kummer war immerhin leichter zu ertragen als miterlebter Kummer. Jetzt war er frei, Mildred aus ganzer Seele zu lieben. Sein Herz hüpfte vor Freude in der Erwartung, sie nach vollbrachter Arbeit im Krankenhaus heute zu sehen.
    Als er wie gewöhnlich nach Hause ging, um sich ein bisschen zurechtzumachen, hörte er, gerade als er den Schlüssel ins Schlüsselloch gesteckt hatte, eine Stimme hinter sich.
    »Darf ich hereinkommen? Ich warte schon seit einer halben Stunde auf dich.«
    Es war Norah. Er fühlte, wie er errötete bis unter die Haarwurzeln. Ihre Stimme klang fröhlich; keine Spur von Verbitterung, kein Zeichen, dass es zwischen ihnen einen Bruch gegeben hatte, war darin. Er fühlte sich in die Enge getrieben. Ihm war ganz elend vor Angst, aber er gab sich alle Mühe zu lächeln.
    »Ja, bitte«, sagte er.
    Er öffnete die Tür, und sie ging vor ihm ins Wohnzimmer. Er war nervös und bot ihr eine Zigarette an, um seine Haltung wiederzugewinnen; auch sich selbst zündete er eine an. Sie sah strahlend zu ihm auf.
    »Warum hast du mir einen solch schrecklichen Brief geschrieben, du böser Junge? Wenn ich ihn ernst genommen hätte, hätte ich mich ganz unglücklich und erbärmlich fühlen müssen.«
    »Er war ernst gemeint«, antwortete er feierlich.
    »Sei doch nicht töricht. Ich bin neulich böse geworden, und dann habe ich dir geschrieben und dich um Verzeihung gebeten. Damit warst du noch nicht zufrieden, also bin ich hergekommen, um noch einmal um Verzeihung zu bitten. Schließlich bist du dein eigener Herr, und ich habe keine Ansprüche an dich. Ich will nicht, dass du irgendetwas tust, das du nicht willst.«
    Sie erhob sich von ihrem Stuhl und ging mit ausgestreckten Händen impulsiv auf ihn zu.
    »Lass uns wieder Freunde werden, Philip! Es tut mir sehr leid, dass ich dich gekränkt habe.«
    Er konnte es nicht verhindern, dass sie seine Hände ergriff; aber er brachte es nicht fertig, sie anzusehen.
    »Ich fürchte, es ist zu spät«, sagte er.
    Sie ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder und umarmte seine Knie.
    »Philip, sei nicht dumm. Ich bin auch leicht reizbar, und ich kann verstehen, dass ich dich gekränkt habe; aber es ist dumm, deswegen zu schmollen. Was haben wir davon, wenn wir uns beide

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