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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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unglücklich machen? Es ist so schön gewesen – unsere Freundschaft.« Sie ließ langsam ihre Finger über seine Hand gleiten. »Ich liebe dich, Philip.«
    Er machte sich von ihr los, stand auf und ging auf die andere Seite des Zimmers hinüber.
    »Es tut mir schrecklich leid, ich kann nichts tun. Die ganze Sache ist aus.«
    »Willst du damit sagen, dass du mich nicht mehr liebst?«
    »Ich fürchte ja.«
    »Du hast auf eine Gelegenheit gewartet, um es zu beenden, und unsere Szene kam dir gerade recht?«
    Er antwortete nicht. Sie sah ihn eine Weile, die ihm unerträglich schien, regungslos an. Sie saß auf dem Boden, gegen den Lehnstuhl gestützt, wo er sie verlassen hatte. Sie fing lautlos an zu weinen, ohne ihr Gesicht in den Händen zu bergen, und die schweren Tränen rollten ihr eine um die andre die Wangen hinab. Sie schluchzte nicht. Es schmerzte fürchterlich, sie so zu sehen. Philip wandte sich ab.
    »Es tut mir schrecklich leid, dass ich dir so weh tun muss. Ich kann nichts dafür, dass ich dich nicht liebe.«
    Sie antwortete nicht. Sie saß nur da, und die Tränen rannen ihr weiter die Wangen hinunter. Es wäre leichter zu ertragen gewesen, wenn sie ihm Vorwürfe gemacht hätte. Er hatte gehofft, dass sie wütend werden würde; darauf war er gefasst. Im Unterbewusstsein fühlte er, dass ein richtiger Streit, in dem man einander gemeine Sachen sagt, sein Verhalten irgendwie gerechtfertigt hätte. Die Zeit verging. Schließlich fing er an, sich vor diesem lautlosen Weinen zu fürchten. Er ging in sein Schlafzimmer und holte ein Glas Wasser. Er beugte sich über sie.
    »Willst du nicht etwas trinken? Es wird dir guttun.«
    Sie brachte ihre Lippen lautlos an das Glas und trank zwei oder drei Schlucke. Dann bat sie ihn erschöpft im Flüsterton um ein Taschentuch. Sie trocknete sich die Augen.
    »Natürlich, ich wusste ja, dass du mich nicht so liebst wie ich dich«, klagte sie.
    »Ich fürchte, das ist immer so«, sagte er. »Es gibt immer den, der liebt, und den anderen, der sich lieben lässt.«
    Er dachte dabei an Mildred, und ein bitterer Schmerz durchzog sein Herz. Norah antwortete lange nicht.
    »Ich bin so furchtbar unglücklich gewesen, und mein Leben war so abscheulich«, sagte sie schließlich.
    Sie sprach nicht mit ihm, sondern mit sich selbst. Er hatte sie noch nie über das Leben, das sie mit ihrem Mann geführt hatte, oder über ihre Armut klagen hören. Er hatte immer bewundert, wie kühn sie der Welt die Stirn bot.
    »Und dann bist du gekommen, und du warst so gut zu mir. Und ich habe dich bewundert, weil du so klug bist, und es war so himmlisch, jemanden zu haben, dem ich vertrauen konnte. Ich liebte dich. Ich habe nicht geglaubt, dass das jemals zu Ende gehen könnte, und das, ohne dass ich einen Fehler gemacht hätte.«
    Wieder begannen ihre Tränen zu fließen; aber jetzt hatte sie sich mehr in der Gewalt und verbarg ihr Gesicht in Philips Taschentuch. Sie versuchte mühsam, sich zu beherrschen.
    »Gib mir noch etwas Wasser«, sagte sie.
    Sie wischte sich die Augen trocken.
    »Es tut mir leid, dass ich mich so anstelle. Es kam so unvorbereitet.«
    »Es tut mir schrecklich leid, Norah. Du sollst wissen, dass ich dir für alles, was du für mich getan hast, sehr dankbar bin.«
    Er fragte sich, was sie von ihm dachte.
    »Ach, es ist immer das Gleiche«, seufzte sie; »wenn du willst, dass Männer dich gut behandeln, musst du ekelhaft zu ihnen sein; wenn du sie anständig behandelst, lassen sie dich dafür leiden.«
    Sie stand vom Boden auf und sagte, sie müsse nun gehen. Sie sah Philip noch einmal mit einem langen, ruhigen Blick an. Dann seufzte sie.
    »Ich verstehe das alles nicht. Was hat das alles zu bedeuten?«
    Philip fasste einen schnellen Entschluss.
    »Ich glaube, ich sage es dir lieber. Ich möchte nicht, dass du zu schlecht von mir denkst. Ich möchte gern, dass du einsiehst, dass ich nichts dafür kann. Mildred ist zurückgekommen.«
    Farbe stieg ihr ins Gesicht.
    »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Das zumindest hätte ich doch verdient.«
    »Ich hatte Angst.«
    Sie besah sich im Spiegel und schob sich den Hut zurecht.
    »Willst du mir bitte eine Droschke rufen?«, sagte sie. »Ich glaube, ich kann nicht gehen.«
    Er ging zur Tür und hielt einen vorüberfahrenden Wagen an. Aber als sie ihm auf der Straße nachkam, war er erschrocken darüber, wie bleich sie aussah. Ihre Bewegungen hatten etwas Schweres, als wäre sie plötzlich älter geworden. Sie sah so krank aus, dass

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