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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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bequem und bereitete ihr Tee.
    »Ich fürchte, ich kann nicht zum Tee bleiben«, sagte er bedauernd. »Ich habe eine unangenehme Verabredung, aber in einer halben Stunde bin ich zurück.«
    Er wusste nicht, was er ihr antworten würde, wenn sie fragen sollte, was das für eine Verabredung sei. Sie zeigte jedoch keinerlei Neugier. Er hatte das Abendessen für sie beide bestellt, als er das Zimmer mietete, und hatte vor, einen stillen Abend mit Mildred zu verbringen. Er war in solcher Eile, wieder zurückzukommen, dass er die Straßenbahn durch die Vauxhall Bridge Road nahm. Er dachte, es wäre das Beste, wenn er Norah gleich offen sagte, dass er nur ein paar Minuten bleiben könne.
    »Du, ich habe gerade nur so viel Zeit, um dir guten Tag zu sagen«, erklärte er sofort, als er ins Zimmer trat. »Ich habe schrecklich viel zu tun.«
    Ihr Gesicht wurde lang.
    »Wieso? Was ist los?«
    Es ärgerte ihn, dass sie ihn zwang, sie zu belügen, und er fühlte, wie er rot wurde, als er darauf antwortete; im Krankenhaus wäre eine anatomische Vorlesung mit praktischen Erläuterungen, die er besuchen müsste. Er bildete sich ein, dass sie aussah, als glaube sie ihm nicht, und das reizte ihn nur noch mehr.
    »Na schön, es macht nichts«, sagte sie, »dann werde ich dich morgen den ganzen Tag haben.«
    Er sah sie bestürzt an. Morgen war Sonntag, und er hatte sich darauf gefreut, den ganzen Tag mit Mildred zusammen zu sein. Er sagte sich, dass das eine selbstverständliche Pflicht sei, er könne sie doch nicht in einem fremden Haus allein lassen.
    »Es tut mir schrecklich leid, aber ich habe schon eine Verabredung für morgen.«
    Er wusste, dass das der Anfang einer Szene war, die er um alles in der Welt hätte vermeiden wollen. Die Farbe auf Norahs Wangen wurde tiefer.
    »Ich habe doch die Gordons zum Essen eingeladen« – ein Schauspieler mit seiner Frau, die in der Provinz auf Tournee waren und sich den Sonntag über in London aufhielten. »Ich habe es dir bereits vor einer Woche gesagt.«
    »Das tut mir schrecklich leid. Aber ich habe es ganz vergessen.« Er zögerte. »Ich fürchte, ich kann unmöglich kommen. Ist nicht sonst jemand da, den du dazu einladen kannst?«
    »Was hast du denn morgen vor?«
    »Vielleicht nimmst du mich lieber nicht ins Kreuzverhör!«
    »Du willst es mir also nicht sagen?«
    »Ich habe absolut nichts dagegen, es dir zu sagen, aber es ist reichlich lästig, wenn man gezwungen wird, über jeden Schritt Rechenschaft abzulegen.«
    Norah war plötzlich ganz verändert. Sie bezwang ihren aufsteigenden Zorn, ging zu ihm und nahm seine Hände.
    »Enttäusch mich morgen nicht, Philip. Ich habe mich so darauf gefreut, den Tag mit dir zu verbringen. Die Gordons möchten dich sehen, und wir werden so viel Spaß miteinander haben.«
    »Ich täte es gerne, wenn ich es einrichten könnte.«
    »Ich bin nicht sehr anspruchsvoll, nicht wahr? Ich bitte dich nicht oft um etwas, das dir lästig ist. Kannst du nicht – dieses eine einzige Mal – deine Verabredung fallenlassen?«
    »Es tut mir schrecklich leid. Ich sehe nicht, wie ich das machen könnte«, antwortete er eigensinnig.
    »Sag mir doch, was es ist«, sagte sie schmeichelnd.
    Er hatte Zeit gehabt, etwas zu erfinden.
    »Griffiths Schwestern sind auf Wochenendbesuch hier, und wir gehen mit ihnen aus.«
    »Ist das alles?«, fragte sie erfreut, »Griffith kann so leicht einen anderen jungen Mann auftreiben.«
    Er wünschte, er hätte sich etwas Dringlicheres ausgedacht. Es war eine ungeschickte Lüge.
    »Nein, es tut mir schrecklich leid, ich kann nicht – ich hab’s versprochen, und ich halte meine Versprechen.«
    »Aber mir hast du es doch auch versprochen. Gehe ich denn nicht vor?«
    »Wenn du doch nicht so halsstarrig wärst«, sagte er.
    Sie fuhr hoch. »Du kommst nicht, weil du keine Lust hast. Ich weiß nicht, was du die letzten Tage über getrieben hast, aber du bist völlig verwandelt.«
    Er sah auf seine Taschenuhr.
    »Ich fürchte, ich muss gehen.«
    »Du kommst also morgen nicht?«
    »Nein.«
    »In diesem Fall brauchst du dir auch sonst nicht mehr die Mühe machen zu kommen«, schrie sie, denn nun riss ihr endgültig die Geduld.
    »Ganz wie du willst«, antwortete er.
    »Ich will dich nicht länger aufhalten«, fügte sie voller Ironie hinzu.
    Er zuckte die Schultern und ging. Er war erleichtert, dass es nicht schlimmer abgelaufen war. Es hatte keine Tränen gegeben. Als er so dahinging, beglückwünschte er sich, dass er so leicht aus der Sache

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