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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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anbot, aber er wusste, dass sie die ganze Zeit über Griffiths Hand hielt. Sein Hauptgedanke war, dass alles so erschreckend ordinär war. Auf der Fahrt fragte er sich, welche Pläne sie wohl verabredet hatten, um sich ohne sein Wissen zu treffen; er verfluchte sich, dass er sie allein gelassen hatte; er hatte geradezu dafür gesorgt, dass sie sich verabreden konnten.
    »Wir wollen im Wagen bleiben«, sagte Philip, als sie an dem Haus angekommen waren, wo Mildred wohnte; »ich bin zu müde zum Laufen.«
    Auf der Heimfahrt redete Griffith fröhlich und schien die Tatsache, dass Philip einsilbig antwortete, gar nicht zu bemerken. Philip meinte, er müsste eigentlich spüren, dass etwas nicht stimmte. Schließlich wurde Philips Schweigen zu deutlich, so dass Griffith nervös wurde und aufhörte zu reden. Philip wollte etwas sagen, aber er war so scheu, dass er es nicht fertigbrachte; die Zeit verging, und die Gelegenheit wäre bald verstrichen. Es war das Beste, wenn er gleich der Wahrheit auf den Grund ging. Er zwang sich zum Sprechen.
    »Bist du in Mildred verliebt?«, fragte er plötzlich.
    »Ich?«, fragte Griffith lachend. »Bist du deshalb den ganzen Abend über so komisch gewesen? Natürlich nicht, mein lieber alter Freund.«
    Er versuchte, seine Hand unter Philips Arm zu schieben, aber Philip entzog sich ihm. Er wusste, Griffith log. Er mochte Griffith nicht zwingen, ihm zu sagen, er hätte nicht Mildreds Hand gehalten. Plötzlich fühlte er sich ganz schwach und gebrochen.
    »Dir macht es nichts aus, Harry«, sagte er. »Du hast so viele Frauen – nimm sie mir nicht weg. Sie bedeutet für mich das ganze Leben.«
    Seine Stimme brach, und er konnte das Schluchzen, das sich ihm entrang, nicht mehr zurückhalten. Er schämte sich schrecklich.
    »Mein guter alter Junge, du weißt, ich würde nichts tun, was dich kränken könnte. Dazu hab ich dich viel zu gern. Ich habe nur den Narren gespielt. Wenn ich gewusst hätte, dass du es so schwernimmst, wäre ich vorsichtiger gewesen.«
    »Ist das wahr?«, fragte Philip.
    »Ich mache mir überhaupt nichts aus ihr. Ich geb dir mein Ehrenwort.«
    Philip atmete erleichtert auf. Der Wagen hielt vor ihrer Tür.
    75
     
    Am nächsten Tag war Philip guter Laune. Er gab sich große Mühe, nicht zu viel mit Mildred zusammen zu sein, um sie nicht zu langweilen; deshalb hatte er abgemacht, dass er sie bis zum Abendessen nicht sehen würde. Sie war fertig, als er sie abholen ging, und er neckte sie wegen ihrer ungewöhnlichen Pünktlichkeit. Sie hatte ein neues Kleid an, das er ihr geschenkt hatte. Er machte eine Bemerkung darüber, wie schick es aussehe.
    »Ich muss es zurückbringen und ändern lassen«, sagte sie. »Der Rock sitzt schlecht.«
    »Du wirst der Schneiderin sagen müssen, dass sie sich beeilt, wenn du es nach Paris mitnehmen willst.«
    »Es wird schon rechtzeitig fertig sein.«
    »Nur noch drei Tage. Wir nehmen den Elf-Uhr-Zug, meinst du nicht auch?«
    »Wie du willst.«
    Er würde sie fast einen ganzen Monat lang für sich allein haben. Seine Augen ruhten voll verzehrender Anbetung auf ihr. Er konnte sogar ein bisschen über seine Leidenschaft zu ihr lachen.
    »Ich frage mich, was ich an dir finde«, sagte er lächelnd.
    »Wie nett!«, gab sie zurück.
    Ihr Körper war dünn geworden, man konnte fast die Knochen sehen. Ihre Brust war so flach wie bei einem Knaben. Ihr Mund mit den schmalen blassen Lippen war hässlich, und ihre Haut spielte ins Grüne.
    »Ich werde dich unterwegs mit Bland’s Pillen füttern«, sagte Philip lachend. »Ich bringe dich rund und rosig zurück.«
    »Ich will nicht fett werden.«
    Sie erwähnte Griffith nicht, und Philip sagte während des Essens, halb im Spott, denn er fühlte sich seiner selbst und seiner Macht über sie sicher:
    »Mir scheint, du hast gestern Abend ganz schön mit Harry geflirtet.«
    »Ich hab dir ja gesagt, dass ich in ihn verliebt bin«, sagte sie lachend.
    »Es freut mich wenigstens, dass er nicht auch in dich verliebt ist.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil ich ihn gefragt habe.«
    Sie zögerte einen Augenblick, sah Philip an, und ein seltsames Funkeln stieg in ihre Augen.
    »Möchtest du einen Brief lesen, den ich heute Morgen von ihm bekommen habe?«
    Sie reichte ihm ein Kuvert, und Philip erkannte darauf Griffiths kühne, leicht leserliche Handschrift. Acht Seiten. Der Brief war gut geschrieben, freimütig und voller Charme; ein Brief, wie Männer ihn schreiben, die gewohnt sind, Frauen zu umgarnen. Er schrieb

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