Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
darauf, dass sie eine Bewegung machte; aber sie saß nur schweigend da und starrte auf das weiße Tischtuch. Wenn sie allein gewesen wären, hätte er sie in die Arme genommen und sie leidenschaftlich geküsst. Sie saßen eine Stunde lang da, ohne zu sprechen, und schließlich hatte Philip das Gefühl, als finge der Kellner bereits an, neugierig herüberzustarren. Er bat um die Rechnung.
    »Sollen wir gehen?«, fragte er dann in gleichmütigem Ton.
    Sie antwortete nicht, nahm aber ihre Tasche und ihre Handschuhe. Sie zog den Mantel an.
    »Wann wirst du Griffith wiedersehen?«
    »Morgen«, sagte sie gleichgültig.
    »Am besten besprichst du die Sache mit ihm.«
    Sie öffnete mechanisch ihre Handtasche und sah darin ein Stück Papier. Sie nahm es heraus.
    »Da ist die Rechnung für das Kleid«, sagte sie zögernd.
    »Ja und?«
    »Ich habe ihr versprochen, ihr morgen das Geld zu bringen.«
    »So?«
    »Soll das heißen, dass du es nicht bezahlen willst, nachdem du mir gesagt hast, dass ich es bekommen soll?«
    »Ja.«
    »Dann werde ich Harry bitten«, sagte sie und wurde rot.
    »Er wird dir sehr gern helfen. Mir schuldet er im Moment sieben Pfund, und vorige Woche hat er sein Mikroskop ins Leihhaus gebracht, weil er so pleite war.«
    »Du brauchst nicht zu glauben, dass du mir dadurch einen Schrecken einjagen kannst. Ich bin durchaus imstande, mir meinen Unterhalt selbst zu verdienen.«
    »Das ist das Beste, was du tun kannst. Ich habe nicht vor, dir noch einen Groschen zu geben.«
    Sie dachte daran, dass ihre Miete am Samstag fällig war und auch das Pflegegeld für das Kind, aber sie sagte nichts. Sie traten aus dem Restaurant, und auf der Straße fragte Philip:
    »Soll ich dir einen Wagen rufen? Ich will ein bisschen laufen.«
    »Ich habe kein Geld. Ich hatte heute Nachmittag eine Rechnung zu bezahlen.«
    »Es wird dir nicht weiter schaden, ein bisschen zu Fuß zu gehen. Wenn du mich morgen sehen willst, um die Teezeit bin ich zu Hause.«
    Er nahm seinen Hut und schlenderte los. Er sah sich noch einmal um; sie stand hilflos auf dem gleichen Fleck, wo er sie stehengelassen hatte, und sah auf den Verkehr. Er ging zurück und steckte ihr mit einem Lachen eine Münze in die Hand.
    »Da hast du zwei Shilling, um nach Hause zu kommen.«
    Ehe sie noch antworten konnte, war er davongeeilt.
    76
     
    Am nächsten Nachmittag saß Philip in seinem Zimmer und fragte sich, ob Mildred wohl kommen würde. Er hatte schlecht geschlafen. Den Vormittag hatte er im Klub der Mediziner zugebracht und eine Zeitung nach der anderen gelesen. Es waren Ferien, und nur wenige Studenten, die er kannte, waren in London, aber er fand immerhin zwei oder drei Leute, mit denen er sich unterhielt; er spielte eine Partie Schach und vertrieb sich so die langweiligen Stunden. Nach dem Essen fühlte er sich so müde und hatte solche Kopfschmerzen, dass er nach Hause zurückging und sich ein bisschen hinlegte; er versuchte, einen Roman zu lesen. Griffith hatte er nicht gesehen. Er war nicht zu Hause gewesen, als Philip gestern Abend zurückkam. Er hörte ihn heimkommen, aber er warf nicht wie sonst einen Blick in Philips Zimmer, um nachzusehen, ob er schon schliefe, und am Morgen hatte Philip ihn sehr zeitig weggehen hören. Es war offensichtlich, dass er ihm aus dem Weg ging. Plötzlich klopfte es leise an seiner Tür. Philip sprang hoch und machte auf. Mildred stand auf der Schwelle. Sie rührte sich nicht.
    »Komm rein«, sagte Philip.
    Er schloss die Tür hinter ihr. Sie setzte sich nieder. Sie zögerte, ehe sie anfing.
    »Vielen Dank dafür, dass du mir gestern Abend die zwei Shilling gegeben hast«, sagte sie.
    »Schon gut.«
    Sie lächelte kaum merklich. Es erinnerte Philip an den verschüchterten, bettelnden Blick junger Hunde, die Schläge bekommen haben, weil sie sich schlecht benommen haben, und nun ihren Herrn wieder versöhnen wollen.
    »Ich bin mit Harry essen gegangen«, sagte sie.
    »So?«
    »Wenn du noch willst, Philip, dann komme ich am Samstag mit.«
    Ein plötzliches Triumphgefühl schoss ihm durchs Herz, aber es dauerte nur einen Augenblick lang an. Sofort stieg in ihm ein Verdacht auf.
    »Des Geldes wegen?«, fragte er.
    »Teils«, antwortete sie einfach. »Harry kann nichts für mich tun. Er ist hier schon fünf Wochen im Rückstand, und er schuldet dir sieben Pfund, und sein Schneider drängt auch auf Geld. Er würde alles aufs Leihhaus bringen, aber er hat nichts mehr. Es war schwer genug, meine Schneiderin zu vertrösten, und dann

Weitere Kostenlose Bücher