Der Menschen Hoerigkeit
Mahlzeit fort. Als das Schweigen zwischen ihnen zu drückend wurde, begann Philip von belanglosen Dingen zu reden. Er gab sich den Anschein, als merke er gar nicht, dass Mildred nicht zuhörte. Ihre Antworten waren oberflächlich, und sie machte keinerlei Kommentare von sich aus. Schließlich unterbrach sie ihn abrupt mitten in der Rede.
»Philip, ich fürchte, ich werde am Samstag nicht mit dir wegfahren können. Der Doktor hat gesagt, ich soll nicht.«
Er wusste, dass das nicht stimmte, aber er antwortete:
»Wann wirst du dann fahren können?«
Sie streifte ihn mit einem Blick, sah, dass sein Gesicht ganz weiß und hart war, und schaute nervös weg. In diesem Augenblick fürchtete sie sich ein bisschen vor ihm.
»Ich kann es dir auch gleich sagen, dann ist die Sache wenigstens überstanden. Ich kann überhaupt nicht mitkommen.«
»Ich habe mir schon gedacht, dass du darauf hinauswolltest. Jetzt ist es zu spät; du kannst nicht mehr zurück. Du musst mitkommen.«
»Du hast gesagt, du wolltest, dass ich nur mitkomme, wenn ich es möchte, und ich will nicht.«
»Ich habe meine Meinung geändert. Ich lasse mich nicht länger zum Narren halten. Du musst mitkommen.«
»Ich habe dich sehr gern, Philip, als Freund. Aber ich kann es nicht ertragen, an irgendetwas anderes zwischen uns zu denken. Was das angeht, fühle ich mich nicht zu dir hingezogen. Ich könnte es nicht, Philip.«
»Vor einer Woche warst du noch durchaus bereit dazu.«
»Das war auch etwas anderes.«
»Da kanntest du Griffith noch nicht?«
»Du hast ja selbst gesagt, ich könne nichts dafür, wenn ich in ihn verliebt sei.«
Ihr Gesicht nahm einen schmollenden Ausdruck an, und sie hielt ihre Augen starr auf den Teller gerichtet. Philip raste innerlich vor Wut; am liebsten hätte er sie mit geballter Faust ins Gesicht geschlagen; er stellte sich bereits vor, wie sie mit einem blauen Auge aussehen würde. An einem Tisch in der Nähe saßen zwei achtzehnjährige Jungen; hin und wieder sahen sie zu Mildred herüber; vielleicht beneideten sie ihn, weil er ein reizendes Mädchen bei sich hatte, und wünschten, dass sie an seiner Stelle wären. Schließlich brach Mildred das Schweigen.
»Was hätten wir davon, wenn wir zusammen weggehen? Ich würde doch die ganze Zeit über an ihn denken. Du würdest auch keinen großen Spaß daran haben.«
»Das ist meine Sache«, antwortete er.
Sie dachte über alles nach, was in dieser Antwort lag, und wurde rot.
»Aber das ist einfach ekelhaft.«
»Und wenn schon?«
»Ich hatte gedacht, du wärst in jedem Sinn des Wortes ein richtiger Gentleman.«
»Dann hast du dich eben geirrt.«
Ihre Antwort amüsierte ihn, und er lachte, als er das sagte.
»Himmelherrgott, lach nicht!«, schrie sie. »Ich kann nicht mit dir gehen, Philip. Es tut mir schrecklich leid. Ich weiß, ich habe mich dir gegenüber nicht gut benommen, aber man kann sich dazu nicht zwingen.«
»Hast du vergessen, dass ich alles für dich getan habe, als du in der Patsche gesessen hast? Ich habe dir das Geld hingeworfen und dich durchgefüttert, bis das Kleine geboren wurde; ich habe deinen Arzt und alles bezahlt; ich habe die Kosten deiner Reise nach Brighton übernommen, und ich zahle für die Pflege der Kleinen; ich bezahle deine Kleider, jeden Fetzen, den du jetzt anhast, habe ich bezahlt.«
»Wenn du wirklich ein Gentleman wärest, würdest du mir jetzt nicht vorhalten, was du alles für mich getan hast.«
»Ach, hör doch auf. Was meinst du wohl, was ich mir daraus mache, ob ich ein Gentleman bin oder nicht. Wenn ich ein Gentleman wäre, hätte ich meine Zeit überhaupt nicht mit einem so ordinären Frauenzimmer, wie du eins bist, vergeudet. Mir ist es egal, ob du mich magst oder nicht. Ich habe es satt, zum Narren gehalten zu werden. Du wirst am Samstag mit mir nach Paris fahren, oder du kannst die Folgen tragen.«
Ihre Wangen waren ganz rot vor Empörung, und als sie antwortete, war ihre Stimme grob und gemein, was sie gewöhnlich unter ihrer gekünstelten Aussprache verbarg.
»Ich habe dich nie leiden können, von Anfang an nicht, aber du hast dich mir aufgedrängt; ich habe es jedes Mal gehasst, wenn du mich geküsst hast. Ich lasse mich nicht von dir berühren, und wenn ich verhungern müsste.«
Philip versuchte das Essen vor ihm auf dem Teller hinunterzuwürgen, aber sein Gaumen war wie gelähmt. Er zwang sich, etwas zu trinken, und zündete sich eine Zigarette an. Er zitterte am ganzen Körper. Er sprach nicht. Er wartete
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