Der Menschen Hoerigkeit
ergriffen, und dort es gibt nur Banales; alles hat schon Fingerspuren und ist abgegriffen. Murillo ist sein Maler.«
Athelny stand aus seinem Stuhl auf, ging zu dem spanischen Schränkchen hinüber, ließ die Vorderseite mit den großen vergoldeten Scharnieren und dem prächtigen Schloss herunter und zeigte eine Reihe kleiner Schubfächer. Er nahm ein Bündel Fotografien heraus.
»Kennen Sie El Greco?«, fragte er.
»Oh, ich erinnere mich, dass einer meiner Freunde in Paris schwer beeindruckt war von ihm.«
»El Greco war der Maler von Toledo. Betty konnte die Fotografie nicht finden, die ich Ihnen hatte zeigen wollen. Es ist ein Bild, das El Greco von der Stadt, die er liebte, gemalt hat, und es ist echter, als es eine Fotografie sein könnte. Kommen Sie, setzen Sie sich an den Tisch!«
Philip zog seinen Stuhl nach vorn, und Athelny stellte die Fotografie vor ihm auf. Er sah sie sich lange schweigend an. Er streckte die Hand nach den anderen Fotografien aus, und Athelny reichte sie ihm. Er hatte das Werk dieses rätselhaften Meisters bisher noch nie gesehen, und beim ersten Anschauen verwirrte ihn die eigenwillige Art zu zeichnen; die Gestalten waren ungewöhnlich in die Länge gezogen, die Köpfe sehr schmal, die Haltung übersteigert. Das war kein Realismus, und doch bekam man, selbst aus den Fotografien, den Eindruck einer beunruhigenden Wirklichkeit. Athelny schilderte eifrig, mit lebhaften Phrasen, aber Philip hörte kaum, was er sagte. Er war ganz verblüfft. Er war sonderbar bewegt. Diese Bilder schienen ihm voller Bedeutung, aber er wusste nicht, worin diese Bedeutung für ihn lag. Männerbildnisse waren darunter, mit großen, melancholischen Augen, die etwas, man wusste nicht recht was, zu sagen schienen; lange, schmale Mönche in Franziskaner- oder Dominikanertracht, mit verzerrten Gesichtern, mit Gesten, deren letzter Sinn sich nicht erschloss, eine Himmelfahrt der Jungfrau Maria, dann eine Kreuzigung, bei der der Maler durch irgendeine Magie des Gefühls auszudrücken verstanden hatte, dass der tote Leib Jesu Christi nicht nur menschliches Fleisch, sondern göttliches Wesen war; dann ein Bild von Christi Himmelfahrt, auf dem der Heiland zum Firmament emporzusteigen schien und doch so still auf der Luft stand, als stünde er auf festem Boden; die erhobenen Arme der Apostel, der Schwung ihrer Gewänder, ihre ekstatischen Gesten gaben das Gefühl überschwenglich heiliger Freude. Bei nahezu allen Bildern war der Nachthimmel der Hintergrund, die düstere Nacht der Seele, durch die ein seltsamer Höllenwind wildbewegte Wolken fegte, geisterhaft erhellt vom unsteten Licht des Mondes.
»Immer wieder habe ich diesen Himmel in Toledo gesehen«, sagte Athelny. »Ich könnte mir vorstellen, dass El Greco zum ersten Mal in einer solchen Nacht in die Stadt kam und dass es einen so ungeheuren Eindruck auf ihn machte, dass er nie wieder davon loskam.«
Philip erinnerte sich, wie Clutton von diesem seltsamen Meister beeindruckt gewesen war, dessen Werk er hier zum ersten Mal sah. Er hielt Clutton für den interessantesten unter all den Leuten, die er in Paris kennengelernt hatte. Seine hämische Art, seine feindselige Isoliertheit hatten eine nähere Bekanntschaft erschwert, jetzt aber, im Rückblick, schien es Philip, als wäre eine tragische Macht in ihm gewesen, die er vergebens in der Malerei auszudrücken versucht hatte. Er war ein Mann von außergewöhnlichem Charakter, ein Mystiker in einem Zeitalter, das nicht zum Mystizismus neigte, von Unruhe getrieben, weil er die Dinge nicht auszudrücken vermochte, die dem dunklen Drang seines Herzens entsprangen. Kopf und Seele klafften zwiespältig auseinander. Kein Wunder, dass er diese tiefe Sympathie für El Greco fühlte, der eine neue Technik gefunden hatte, um die Sehnsucht der Seele zum Ausdruck zu bringen. Philip schaute noch einmal auf die Reihe spanischer Edelmänner mit ihren Halskrausen, spitzen Bärten, mit ihren bleichen Gesichtern, die sich vom nüchternen Schwarz ihrer Kleider und dem Dunkel des Hintergrundes abhoben. El Greco war der Maler der Seele, und diese Herren, bleich und verfallen, nicht durch Erschöpfung, sondern durch züchtige Beherrschung, schienen mit gequältem Gesicht dahinzuschreiten, ohne die Schönheit dieser Welt wahrzunehmen, denn ihre Augen waren nur auf ihr Inneres gerichtet; sie waren durch die Pracht des Unsichtbaren geblendet. Kein anderer Maler hat erbarmungsloser gezeigt, dass diese Welt nur eine Welt des Übergangs ist.
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