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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Cheddar-Käse, und Athelny setzte seinen Redefluss fort.
    »Es ist der größte Irrtum auf Gottes Erde, wenn man sich einbildet, dass man Geld haben muss, um eine Familie aufzuziehen. Geld braucht man, wenn sie Damen und Gentlemen werden sollen. Aber ich will ja gar nicht, dass sie Damen oder Gentlemen werden. Sally wird sich in einem Jahr ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Sie nimmt eine Lehrlingsstelle bei einer Schneiderin an, stimmt’s, Sally? Und die Jungen werden dem Vaterland dienen. Sie sollen alle zur Marine; es ist ein fröhliches Leben und ein gesundes Leben: gutes Essen, guter Lohn und für den Lebensabend eine Pension.«
    Philip zündete sich seine Pfeife an. Athelny rauchte selbstgedrehte Zigaretten mit Havannatabak. Sally räumte ab. Philip war zurückhaltend, es machte ihn verlegen, so viel Vertrauliches mitgeteilt zu bekommen. Athelny war mit seiner mächtigen Stimme in dem winzigen Körper, mit seinem Wortschwall, dem fremdländischen Aussehen und dem Nachdruck, den er in alles legte, ein erstaunlicher Mensch. Er erinnerte Philip in vielem an Cronshaw. Er schien die gleiche Unabhängigkeit im Denken, die gleiche Bohemiennatur zu haben, aber er hatte eine weit stärkere Vitalität, sein Geist war gröber, und ihm fehlte das Interesse für abstrakte Dinge, das die Gespräche mit Cronshaw so fesselnd gemacht hatte. Athelny war sehr stolz auf den Landadel, zu dem er gehörte. Er zeigte Philip Fotografien eines elisabethanischen Landhauses und sagte:
    »Die Athelnys haben sieben Jahrhunderte lang dort gewohnt, mein lieber Junge. Ach, Sie hätten die Kamine und die Decken sehen sollen!«
    In der Wandtäfelung war ein Fach, und er entnahm daraus einen Stammbaum. Er zeigte ihn Philip voll kindlichem Stolz. Er war wirklich imposant.
    »Sie sehen, wie die alten Familiennamen immer wiederkehren: Thorpe, Athelstan, Harold, Edward; ich habe sie bei meinen Söhnen benutzt. Und den Mädchen habe ich spanische Namen gegeben.«
    Ein unbehagliches Gefühl überkam Philip, dass die ganze Geschichte vielleicht erfunden sein könnte, nicht etwa aus niedrigen Motiven, sondern nur aus der Freude am Überraschen, Beeindrucken, Verblüffen. Athelny hatte ihm gesagt, dass er in Winchester gewesen sei; aber Philip mit seinem ausgeprägten Gefühl für Benehmen glaubte nicht, dass sein Gastgeber die Umgangsformen eines Mannes hatte, der in einer der großen Public Schools erzogen worden war. Während Athelny auf die großen Ehen hinwies, die seine Ahnen eingegangen waren, fragte sich Philip belustigt, ob er nicht vielleicht der Sohn eines Kaufmanns in Winchester, eines Auktionators oder Kohlenhändlers sei und ob der Geschlechtsname nicht vielleicht die einzige Verbindung war, die ihn mit der Familie, mit deren altem Stammbaum er prahlte, verband.
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    Es klopfte, und eine Truppe von Kindern kam herein. Sie waren jetzt sauber und ordentlich, ihre Gesichter glänzten vor Seife, und ihr Haar war glatt gestriegelt; sie gingen unter Sallys Aufsicht zur Sonntagsschule. Athelny scherzte in seiner dramatisch überschwenglichen Art mit ihnen, es war sehr deutlich, wie sehr er an ihnen allen hing. Sein Stolz über ihre Gesundheit und ihr hübsches Aussehen war rührend. Philip sah, dass sie in seiner Gegenwart ein bisschen scheu waren, und als ihr Vater sie fortschickte, flohen sie sichtlich erleichtert aus dem Zimmer. Ein paar Minuten später erschien Mrs.   Athelny. Sie hatte die Lockenwickler abgenommen und trug nun eine kunstvoll angeordnete Ponyfrisur. Sie hatte ein einfaches schwarzes Kleid und einen Hut mit billigem Blumenschmuck angelegt und war gerade damit beschäftigt, ihre roten und von vieler Arbeit harten Hände in Glacéhandschuhe zu zwängen.
    »Ich gehe zur Kirche, Athelny«, sagte sie. »Brauchst du noch irgendetwas?«
    »Nur deine Gebete, meine Betty.«
    »Sie werden dir nicht viel nützen, du steckst zu tief in Schuld, als dass das noch helfen könnte.« Sie lächelte. Dann wandte sie sich an Philip und sagte in ihrer schleppenden Sprachweise: »Ich kann ihn nicht dazu bekommen, dass er zur Kirche geht. Er ist keinen Deut besser als ein Atheist.«
    »Sieht sie nicht aus wie Rubens’ zweite Frau?«, rief Athelny. »Würde sie nicht herrlich in ein Kostüm des siebzehnten Jahrhunderts passen? So sehen die Frauen aus, die man heiraten muss, mein Junge. Schauen Sie sie an!«
    »Ich glaube, du langweilst hier jemanden zu Tode, Athelny«, antwortete sie ruhig.
    Es gelang ihr schließlich, die

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