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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Freunde enttäuscht hatte, nicht mehr hin; Hayward war am Kap. Nur Lawson blieb übrig, und Philip wollte ihn nicht treffen, weil er fand, dass er mit dem Maler jetzt nichts mehr gemein hätte. Aber eines Samstagnachmittags ging er nach dem Essen die Regent Street hinunter, um zur Volksbibliothek in St.   Martin’s Lane zu gelangen, wo er den Nachmittag verbringen wollte, und fand sich plötzlich Lawson gegenüber. Sein erster Gedanke war, ohne ein Wort vorüberzugehen. Lawson vereitelte jedoch diese Absicht.
    »Wo in aller Welt hast du die ganze Zeit über gesteckt?«, rief er.
    »Ich?«, sagte Philip.
    »Ich habe dir geschrieben, du solltest zu einem lustigen Abend ins Atelier kommen, und du hast mir nicht einmal geantwortet.«
    »Ich habe deinen Brief nicht erhalten.«
    »Nein; das weiß ich. Ich war nämlich im Hospital und habe mich nach dir erkundigt; da sah ich meinen Brief noch am Anschlagkasten stecken. Hast du die Medizin denn an den Nagel gehängt?«
    Philip zögerte einen Augenblick. Er schämte sich, die Wahrheit zu sagen, aber er war wütend darüber, dass er sich schämte, und zwang sich zu sprechen. Er konnte nicht verhindern, dass er errötete.
    »Ja, ich habe mein bisschen Geld verloren. Ich konnte es mir nicht leisten dabeizubleiben.«
    »Oh, das tut mir aber leid. Was machst du denn nun?«
    »Ich bin Aufseher in einem Kurzwarengeschäft.«
    Diese Worte erstickten Philip fast, aber er war fest entschlossen, die ganze Wahrheit zu sagen. Er hielt seinen Blick auf Lawson geheftet und merkte, dass dieser verlegen war. Philip lächelte voll wilden Spottes.
    »Wenn du zu Lynn and Sedley kämst und durch die Damenkonfektion gingest, würdest du mich dort im Gehrock stehen und herumgehen sehen, wie ich mit ungezwungener Miene Damen den Weg weise, die Unterröcke oder Strümpfe erstehen wollen. Erst nach rechts, gnädige Frau, dann zweiter Stock, links.«
    Lawson lachte verlegen, als er merkte, dass Philip darüber spottete. Er wusste nicht recht, was er sagen sollte. Das Bild, das Philip ihm ausmalte, entsetzte ihn, aber er hatte Angst, Mitleid zu zeigen.
    »Eine kleine Abwechslung, sollte ich meinen«, sagte er.
    Ihm selbst kamen seine Worte albern vor, und er hätte sie am liebsten ungesagt gemacht. Philip wurde dunkelrot.
    »Schon«, sagte er. »Übrigens, ich bin dir doch noch fünf Shilling schuldig.« Er griff mit der Hand in die Tasche und zog einige Silbermünzen heraus.
    »Ach, lass doch, das hatte ich schon ganz vergessen.«
    »Komm, hier nimm.«
    Lawson nahm das Geld schweigend in Empfang. Sie standen mitten auf dem Bürgersteig; die Leute, die vorübergingen, drängten sich vorbei und stießen sie an. Ein sardonisches Lächeln lag in Philips Augen; der Maler fühlte sich sehr unbehaglich dabei. Er ahnte nicht, dass Philips Herz vor Verzweiflung schwer war. Lawson hätte so gern etwas für ihn getan, aber er wusste nicht, was er tun könnte.
    »Willst du nicht wieder einmal ins Atelier kommen, damit wir uns unterhalten?«
    »Nein«, sagte Philip.
    »Warum nicht?«
    »Es gibt nichts, worüber wir uns unterhalten könnten.«
    Er sah, dass Lawsons Augen einen bekümmerten Ausdruck annahmen; er konnte es auch nicht ändern, es tat ihm leid, aber er musste an sich selbst denken, er konnte die Vorstellung, mit ihm über seine Lage zu sprechen, nicht ertragen. Seine jetzige Situation war nur dann erträglich, wenn er mit fester Entschiedenheit jeden Gedanken daran verbannte. Er fürchtete sich vor seiner eigenen Weichheit, wenn er erst einmal jemandem sein Herz öffnete. Außerdem war ihm jeder Ort, an dem er sich einmal elend gefühlt hatte, zuwider: Er erinnerte sich an die Demütigung, die er durchmachen musste, als er, gierig vor Hunger, in Lawsons Atelier gesessen und auf eine Einladung zum Essen gewartet hatte – dann, das letzte Mal, als er ihn um fünf Shilling gebeten hatte. Er hasste den bloßen Anblick von Lawson, weil er jene Tage der Erniedrigung in sein Gedächtnis zurückrief.
    »Dann geh wenigstens einmal abends mit mir essen. Du kannst bestimmen, welcher Abend dir am besten passt.«
    Philip war von der Freundlichkeit des Malers gerührt. Alle möglichen Leute waren unerwarteterweise freundlich zu ihm, dachte er.
    »Es ist wirklich schrecklich nett von dir, mein Lieber; aber es ist besser, wenn ich es nicht tue.« Er reichte ihm die Hand hin: »Lebwohl.«
    Lawson war durch Philips unerklärliches Betragen beunruhigt und nahm seine Hand. Philip humpelte eilig davon. Ihm war das Herz

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