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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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schwer, und er machte sich, wie gewöhnlich, Vorwürfe; er wusste nicht, welch verrückter Stolz ihn bewogen hatte, die angebotene Freundlichkeit auszuschlagen. Dann hörte er jemand hinter sich herrennen und bald darauf rufen; er erkannte Lawsons Stimme. Er blieb stehen, und das Gefühl der Feindseligkeit überkam ihn wieder. Er empfing Lawson mit kaltem, hartem Gesicht.
    »Was ist los?«
    »Von Hayward hast du wahrscheinlich gehört?«
    »Ich weiß, dass er ans Kap gegangen ist.«
    »Er ist kurz nach der Landung gestorben.«
    Philip antwortete nicht gleich. Er traute kaum seinen Ohren.
    »Wie?«, fragte er.
    »Darmtyphus. Pech, nicht wahr? Ich hatte gedacht, du weißt es vielleicht noch nicht. Es hat mir doch einen ziemlichen Schlag versetzt, als ich das hörte.«
    Lawson nickte schnell und ging fort. Philip fühlte, wie es ihm eiskalt über das Herz kroch. Er hatte noch nie vorher einen Freund in seinem Alter verloren, denn Cronshaws Tod, der Tod eines alten Menschen, entsprach mehr oder weniger dem natürlichen Lauf der Dinge. Die Nachricht erschütterte ihn sehr. Sie erinnerte ihn an seine eigene Sterblichkeit, denn bis dahin war Philip, wie wohl jedem, zwar klar gewesen, dass alle Menschen sterben müssen, aber er hatte doch nie so direkt erfasst, dass das auch ihn betraf. Haywards Tod beeindruckte ihn deshalb sehr, obwohl er ihm keine warmen Gefühle mehr entgegengebracht hatte. Plötzlich überfiel ihn die Erinnerung an all die schönen Gespräche, die sie miteinander geführt hatten, und der Gedanke schmerzte ihn, dass sie niemals mehr miteinander würden sprechen können. Er erinnerte sich an den Anfang ihrer Bekanntschaft, an die angenehmen Monate, die sie gemeinsam in Heidelberg verlebt hatten. Philip sank das Herz, wenn er an all die verlorenen Jahre dachte. Er ging mechanisch weiter, merkte gar nicht, wohin seine Füße ihn trugen, und erkannte plötzlich, verärgert, dass er nicht, wie er vorgehabt hatte, in den Haymarket eingebogen war, sondern die Shaftesbury Avenue weiter hinunterlief. Es war langweilig, den gleichen Weg zurückzugehen; außerdem spürte er nach dieser Nachricht kein Verlangen mehr, irgendwelche Bücher zu lesen. Er wollte allein für sich sitzen und nachdenken. Er entschloss sich also, ins British Museum zu gehen. Alleinsein war mittlerweile sein einziger Luxus. Seit er bei Lynn arbeitete, war er öfters dorthin gegangen und hatte vor den Gruppen des Parthenonfrieses gesessen und, ohne eigentlich nachzudenken, die göttlichen Maße beruhigend auf seine verstörte Seele wirken lassen. Aber an diesem Nachmittag gaben sie ihm nichts. Ungeduldig verließ er bereits nach wenigen Minuten den Raum. Es waren zu viele Leute da, Provinzler, alberne Gesichter, Ausländer mit der Nase in Museumsführern: ein scheußlicher Anblick, der die ewigen Meisterwerke schändete. Das unruhige Hin und Her störte die unsterbliche Ruhe der Götter. Er ging in einen andern Raum, dort war kaum jemand. Philip setzte sich müde und abgespannt nieder. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die Leute gingen ihm nicht aus dem Sinn. Bei Lynn wirkten sie manchmal genauso auf ihn; er ließ sie dann voll Grauen an sich vorüberziehen; sie waren so hässlich und ihre Gesichter von Gemeinheit gezeichnet: Es war grauenerregend. Ihre Züge waren von gemeinen Trieben verzerrt; man spürte, dass jeglicher Gedanke an Schönheit ihnen fremd war. Sie hatten hinterhältige Augen und ein schwächliches Kinn. Es war nichts Böses an ihnen, aber Kleinmütigkeit und Durchschnittlichkeit. Ihr Humor war nichts als niedriger Witz. Manchmal überraschte er sich dabei, wie er sie auf ihre Ähnlichkeit mit Tieren hin beobachtete (er wehrte solche Gedanken ab, sie wurden zu leicht zu fixen Ideen); in allen sah er ein Schaf, ein Pferd, einen Fuchs oder eine Ziege. Diese menschlichen Wesen stießen ihn ab.
    Es dauerte nicht lange, dann hüllte ihn die Stimmung ein, die an diesem Ort herrschte. Er fühlte sich ruhig werden. Gedankenverloren betrachtete er die Grabsteine, die an den Wänden des Raums standen. Es waren Werke, die Steinmetze in Athen während des vierten und fünften Jahrhunderts vor Christus geschaffen hatten. Sie waren sehr schlicht, keine Werke großer Genies, und dennoch lag über allen der wunderbare Geist Griechenlands. Die Zeit hatte dem Marmor die weiche Farbe von Honig verliehen, so dass man unbewusst an die Bienen des Hymettos denken musste, und den Konturen hatte die Zeit jede Schärfe genommen. Manche

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