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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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irgendetwas falsch zu machen.
    »Wie heißt sie?«
    »Sie ist erst drei Tage alt und hat noch keinen Namen.«
    »Wer ist ihre Mutter?«
    »Meine Cousine. Sie ist bei der Geburt gestorben.«
    Sofia befühlte das zarte Gesichtchen und küsste es. Sie hielt einen Moment inne und sagte schließlich: »Dann lass sie uns wie deine Cousine Daniela nennen.«
     
    Von nun an änderte sich Sofias Leben von Grund auf.
    Jonathan und Sofia wickelten und fütterten sie, flößten ihr lauwarmen Fencheltee ein, und während Sofia ihr kühle Essigwadenwickel machte, fuhr Jonathan ins Dorf, um Fieberzäpfchen für Säuglinge zu besorgen.
    Das Fieber war gesunken, und Daniela schlief auf Sofias Arm, als Jonathan am Abend in der Küche Danielas Geschichte erzählte.
    Amanda konnte sich an dem Baby nicht sattsehen und vergaß vor Aufregung, sich etwas zu trinken zu holen. Riccardo saß angespannt auf seinem harten, geflochtenen Stuhl und hielt die Hände auf die Tischplatte gestützt, als wolle er zum Sprung ansetzen. So aufmerksam hatte Jonathan ihn in den letzten Jahren nicht erlebt.
    »Ich wusste seit Monaten, dass es meiner Cousine schlecht geht«, begann Jonathan, »aber es war mir nicht klar, dass sie ihre Krankheit nicht überleben würde. Sie hatte Knochenkrebs und konnte sich nur unter Schmerzen und auf Krücken durch ihre Wohnung schleppen. Es war furchtbar, aber sie hat fest daran geglaubt, dass sie wieder gesund werden würde. Die Ärzte haben ihr auch große Hoffnungen gemacht.
    Und obwohl sie sich mit fortschreitender Schwangerschaft kaum noch bewegen konnte, hat sie sich wie wahnsinnig auf das Kind gefreut. Irgendwie lebte sie in der Vorstellung, dass sie nach der Geburt schmerzfrei sein und sich wie jede andere Mutter auch um ihr Kind kümmern könnte. Sie glaubte fest daran, dass Schwangerschaft und Krankheit mit einem Mal beendet sein würden.
    Ich habe das immer für eine Illusion gehalten, aber ich habe es ihr natürlich nicht gesagt. Ich machte mir riesige Sorgen um meine Cousine und beschäftigte mich monatelang mit dem Gedanken, das Neugeborene zu mir nehmen zu müssen. Und jetzt werden wir dieses kleine Waisenmädchen wie unser eigenes aufziehen.«
    »Wie ist sie gestorben?«, hauchte Sofia.
    »Sie lag zwölf Stunden in den Wehen. In den letzten beiden Stunden war ich bei ihr. Als das Kind dann endlich geboren war, hatte sie keine Kraft mehr. Sie hat Daniela noch anderthalb Stunden im Arm gehalten. Dann gab sie sie mir, so wie ich sie dir heute gegeben habe, Sofia. Ohne ein Wort. Sie lächelte, machte die Augen zu und schlief ein. Ganz friedlich. Als habe sie ihr letztes großes Werk vollbracht. Monatelang hatte sie sich noch gequält, jetzt konnte sie endlich gehen.«
    »Ist sie zu Hause gestorben?«, fragte Amanda seltsam ruhig.
    »Ja. Sie wollte auf keinen Fall ins Krankenhaus. Hatte Angst um das Kind. Hatte Angst, dass man es ihr wegnehmen und sie in die bürokratischen Mühlen geraten könnte. So weiß keiner von Daniela. Nur ich und sie. Und ich fühle mich wie der Vater.«
    »Aber du bist es nicht!« Amanda hatte eine Spur Misstrauen in der Stimme.
    »Nein, ich bin es nicht. Daniela war für mich immer wie eine Schwester.«
    »Wer ist denn dann der Vater, verdammt? Wo treibt sich der Halunke rum?«, fragte Amanda wütend. Sie hatte die ganze Zeit keinen Schluck getrunken, jetzt stand sie auf, um eine Flasche zu öffnen.
    »Ich weiß es nicht genau. Daniela hat immer nur Andeutungen gemacht. Sie hatte sich wohl im Urlaub auf Gotland in einen Schweden verliebt, aber nach ihrer Heimkehr war der Kontakt abgebrochen. Als sie wusste, dass sie schwanger ist, hat sie sich auch nicht bei dem Schweden gemeldet. Sie wollte es einfach nicht. Ich glaube, sie hatte nicht mal mehr seine Adresse.«
    »Das sind ja schöne Zustände!«, grummelte Amanda.
    Riccardo schwieg noch immer, aber er sah Daniela unverwandt an.
    »Hatte Danielas Mutter keine Eltern?«, fragte Sofia, und die Angst, dass man ihr dieses kleine Wesen doch noch einmal wegnehmen könnte, schwang in ihrer Stimme mit.
    »Ihr Vater war der Bruder meines Vaters«, erklärte Jonathan, »mein Onkel Herbert. Er ist zusammen mit seiner Frau im Dezember 2004 bei dem großen Tsunami in Thailand ums Leben gekommen. Die beiden sind über Weihnachten und Neujahr oft nach Asien gefahren, weil sie den Weihnachtsrummel in Deutschland und das schlechte Wetter nicht ausstehen konnten. Und das ist ihnen dann zum Verhängnis geworden. Und mein Vater ist gestorben, als ich zwei

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