Der Menschenraeuber
noch zur Apotheke.«
»Ach, das ist schön! Wenn du da bist, schiebe ich ein Blech mit Pizza in den Ofen. Dann können wir alle gemeinsam essen.«
Sie beendete das Gespräch.
Wittek freute sich auf zu Hause. Ein Pizzaessen im Kreis der ganzen Familie, dazu ein kühles Bier, das war jetzt genau das Richtige. Seine Kinder waren neun, elf und vierzehn Jahre alt, und es war selten, dass zum Abendessen alle zu Hause waren.
Er musste langsam fahren, weil der Wind ums Auto peitschte und den Wagen immer wieder zur Seite drückte, außerdem glänzte die Straße im Licht der Laternen, und er fragte sich, ob die Nässe bereits dabei war, zu überfrieren.
Doch eine entspannte Feierabendstimmung, die er sich sehnlichst wünschte, wollte nicht aufkommen. Lisa-Marie ging ihm einfach nicht aus dem Kopf, sie wurde bereits zu einer fixen Idee, einem Trauma, das ihn ewig verfolgen würde, wenn er sie nicht fand. Seit über zwanzig Jahren arbeitete er jetzt bei der Kripo, und es waren nicht nur Bagatelldelikte, um die er sich gekümmert hatte. Gerade hier, im Wald bei Buchholz, hatte er ermordete Frauen gesehen, und ihr Anblick hatte ihn monatelang in seinen Träumen verfolgt. Erst als der Mörder gefasst war, hatte er sich langsam von den Bildern befreien können.
Das Schlimme war, dass er bei diesem Fall das starke Gefühl hatte, etwas übersehen zu haben. Wahrscheinlich kein ungewöhnlicher Gedanke für einen Ermittler, aber er ließ ihn nicht mehr los. Irgendwo da draußen war Lisa-Marie, und wenn er sie nicht zurückholte, würde sie bei Verbrechern aufwachsen und nicht bei ihren leiblichen Eltern.
Obwohl er mit Tobias und Leonie schon unzählige Gespräche geführt hatte, musste er einfach noch einmal mit ihnen reden. Sonst konnte er Pizza und Bier nicht genießen.
Hinter dem Wald bog er in den Weg ein, in dem die Altmanns wohnten. Kurz überlegte er noch, ob er zu Hause Bescheid sagen sollte, dass es nun doch ein wenig später werden würde, aber dann ließ er es bleiben. Er fürchtete sich davor, wie so oft die Enttäuschung in der Stimme seiner Frau herauszuhören.
Im Haus brannte Licht. Leonies Wagen stand im Carport, Tobias’ in der Einfahrt. Sie waren also beide zu Hause.
Tobias öffnete, als Wittek klingelte.
»Guten Abend«, sagte Tobias und war über den Besuch keineswegs überrascht, »bitte, kommen Sie herein.« Er ging voran ins Wohnzimmer. »Nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein danke, ich werde Sie auch nicht lange stören, ich habe nur eine Frage.«
Leonie kam herein. Wittek hatte sie jetzt ein paar Tage nicht gesehen, aber so mager hatte er sie nicht in Erinnerung.
Wittek begrüßte sie und fragte: »Ihre Schwiegereltern sind abgereist?«
»Ja. Es wurde mir zu viel. Ich brauche ein bisschen Ruhe.«
Wittek nickte. »Es tut mir sehr leid, dass ich Sie immer wieder belästigen muss, aber ich möchte Ihnen heute noch einmal eine Frage stellen, die ich Ihnen zu Beginn der Ermittlungen schon gestellt habe, weil ich glaube, dass dort der Schlüssel zur Lösung des Falles zu finden ist.«
Leonie setzte sich in den Sessel, der von Wittek am weitesten entfernt war. Sie rieb ihre Hände so fest aneinander, als wolle sie sich die juckende Haut abschälen.
»Fragen Sie«, sagte Tobias. »Wir müssen ja irgendwie weiterkommen, und wahrscheinlich müssen wir auch immer wieder darüber reden, um nicht verrückt zu werden.«
»Also eins ist völlig klar: Lisa-Marie wurde nicht zufällig geraubt. Der Täter hat nicht wahllos irgendein Baby mitgenommen, weil sich gerade eine günstige Gelegenheit bot, sondern er hat bewusst Lisa-Marie gestohlen. Er wollte sie, nur sie und kein anderes Kind! Und das ist der entscheidende Punkt in der ganzen Geschichte. Warum wollte er Ihr Neugeborenes? Und obwohl es erst wenige Stunden auf der Welt war, wusste der Täter, dass das Baby Lisa-Marie heißt. Das finde ich merkwürdig. Gut, auf der Säuglingsstation kannten den Namen alle Schwestern, aber wer noch? Sie beide hatten sich den Namen schon vor der Geburt überlegt. Wem haben Sie denn den Namen Ihrer Tochter genannt? Kurz vor der Geburt oder unmittelbar danach?«
»Meine Schwiegermutter kannte ihn. Sie war ja auch bei der Geburt dabei.« Leonie sprach so leise, dass Wittek sie kaum verstehen konnte.
»Sicher hat sie den Namen meinem Vater erzählt. Denn sie hat ihn ja auch sofort angerufen, als das Kind geboren war«, bemerkte Tobias. »Aber meines Wissens hat sie sonst niemanden
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