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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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ohne ihn anzusehen:
    »Es ist einfach irre hier. Diese Insel ist toll, die ganze Welt ist toll, und du bist toll.«
    Dann grinste sie, und ihre Grübchen erschienen ihm tiefer denn je. Sie sprang auf, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und rannte ins Meer.
    Sie tobte in den Wellen, und ihr noch so junger, perfekter Körper hob sich wie ein Schattenriss vor dem gleißend hellen Licht der schon tief stehenden Sonne ab. Jonathan beobachtete sie und hätte heulen können vor Glück.
    Auf einmal bemerkte er, dass er immer noch stumm vor Sofia stand.
    »Buongiorno«, sagte er ebenfalls.
    Und in diesem Moment wusste er, dass er bleiben musste.
    »Haben Sie gut geschlafen?«, fragte sie.
    »Ja, doch, einigermaßen«, antwortete er leise, »es war ein bisschen kalt in der Nacht, und ich habe heute Morgen eine heiße Dusche vermisst.«
    »Kein Problem. Wir waren ja nicht auf Gäste vorbereitet. Ich werde Bappo Bescheid sagen. Er besorgt in Ambra eine neue Gasflasche, und dann haben Sie heißes Wasser und können duschen. Das ist eine Kleinigkeit.«
    »Wunderbar.«
    »Möchten Sie einen Cappuccino?«
    »O ja, bitte.«
    Er setzte sich an den Küchentisch, und Sofia füllte frische Kaffeebohnen in die Espressomaschine. Mit der rechten Hand ließ sie die Bohnen über ihre linke Hand hineinrieseln. So spürte sie ganz genau, wann der Behälter voll war.
    »Mein Vater ist schon in den Oliven«, sagte Sofia, als sie Jonathan den Cappuccino mit einem Berg aufgeschäumter Milch hinstellte, »im Moment ist Olivenernte, und er nutzt jede Minute. Bei gutem Wetter arbeitet er von sieben bis fünf. Dann bringt er die Oliven in die Mühle und geht danach in die Bar. Wo Sie ihn kennengelernt haben«, fügte sie lächelnd hinzu. »Und meine Mutter schläft noch. Aber zum Mittagessen wird sie bestimmt wach sein.«
    Als sie sich bückte und im Kühlschrank Butter und Marmelade ertastete, fiel eine Zitrone heraus und rollte über den Fußboden. Jonathan sprang auf, und als er die Zitrone aufhob, sah er, dass der Küchenfußboden fettig glänzte und an manchen Stellen vor Dreck starrte. Hier musste schon monatelang niemand mehr gewischt haben. Auch in den Pfannen über dem Herd klebte das Fett, und die Tasse, die Sofia jetzt für ihren Kaffee aus dem Schrank holte, hatte einen dunklen Rand. Sie stellte sie auf die Espressomaschine, drückte den Knopf, und sofort setzte sich das Mahlwerk wieder knatternd in Bewegung.
    Er reichte ihr die Zitrone, und für den Bruchteil einer Sekunde berührten sich ihre Finger. Für Jonathan war es wie ein Stromschlag, der seinen ganzen Körper durchzuckte.
    »Was kostet die Wohnung?«, fragte er, um sich abzulenken und über ein sachliches Thema sprechen zu können. »Ich denke, ich werde den ganzen Winter über bleiben.«
    »Es ist langweilig hier im Winter. Man kann nicht viel unternehmen, fast alles hat geschlossen«, entgegnete sie zögernd.
    »Das macht nichts. Ich will auch nichts unternehmen.«
    Sofia setzte sich an den Tisch, und ihre Augen wanderten haltlos von rechts nach links.
    »Ich verstehe nicht ganz. Was wollen Sie denn hier machen?«
    »Nichts. Ich will nur ein bisschen Ruhe haben und wollte mal weg aus meinem gewohnten Leben.«
    Sofia nickte und fragte nicht weiter. Sie überlegte und sah aus, als würde sie im Kopf rechnen und kalkulieren.
    »Die Wohnung kostet in der Saison pro Woche fünfhundert«, sagte sie nach einer Weile. »Ist es okay, wenn Sie im Monat siebenhundertfünfzig zahlen?«
    »Nein, das ist nicht okay«, meinte Jonathan und grinste breit. Erst als er merkte, wie Sofia zusammenzuckte, fiel ihm ein, dass er mit derartigen ironischen oder scherzhaften Bemerkungen vorsichtig sein musste, da sie sein Gesicht nicht sehen konnte und alles, was er sagte, notgedrungen für bare Münze nehmen musste. Daher beeilte er sich hinzuzufügen: »Nein, das ist nicht okay, weil ich Ihnen tausend zahlen werde. Unter der Bedingung, dass Sie mir jeden Morgen einen Kaffee kochen und mir anschließend Unterricht geben. Bitte, bringen Sie mir Italienisch bei! Ich glaube, ich lerne schnell. In der Schule hatte ich neun Jahre Latein und war ein richtiger Grammatikfreak. Da werde ich mit dem Italienischen nicht so große Probleme haben.«
    »Einverstanden«, sagte sie ohne Umschweife und war ganz glücklich, dass sie zumindest in der nächsten Zeit eine Aufgabe haben würde.
    »Aber woher können Sie so fantastisch Deutsch?«, fragte Jonathan.
    »Ich hatte eine sehr engagierte Lehrerin. Sie war mit

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