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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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einem Deutschen verheiratet und liebte die Sprache. So wie ich.« Sofia lächelte. »Sie konnte mir alles erklären und hat mich ständig mit Sprachkassetten versorgt. Das Leben ist nämlich ziemlich langweilig, wenn man blind ist.«
    Jonathan wollte gerade etwas erwidern, als es im Nebenzimmer laut krachte, und kurz darauf hörte er, wie eine tiefe Stimme »Porcamiseria« fluchte.
    »Das ist meine Mutter«, flüsterte Sofia, »sie ist nicht besonders leise, wenn sie wach ist. Wahrscheinlich hat sie von meinem Vater erfahren, dass Sie da sind, jetzt ist sie neugierig, und darum ist sie ein bisschen früher aufgestanden. Sie wird gleich kommen.«
    Sekunden später sprang die Tür auf, und Amanda stand in der Küche.
    »Buongiorno«, brüllte sie mit ihrer rauchigen Stimme, ging auf Jonathan zu, schlug ihm kräftig auf die Schulter und brüllte weiter: »Piacere! Sono Amanda!«
    Jonathan sagte brav seinen Namen, Amanda war zufrieden und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sie trug ein knallenges giftgrünes T-Shirt, unter dem sich ihre Bauchwülste deutlich abzeichneten und die ihrer schwammigen Brust in ihrer Größe in nichts nachstanden. Dazu hatte sie eine schlabbrige rosa Jogginghose an, die ihr gewaltiges, ausladendes Hinterteil und ihre massigen Schenkel, die bei jedem Schritt aneinanderrieben, noch betonte. Trotz der kühlen Jahreszeit trug sie nur Sandalen ohne Strümpfe, und Jonathan fröstelte und grauste es beim bloßen Hinsehen, weil ihre Füße schmutzig und ihre Zehennägel viel zu lang waren. Offensichtlich hatte sie sich auch ihre strähnigen, halblangen weißen Haare heute Morgen noch nicht gekämmt, denn sie waren zerzaust und standen grotesk vom Kopf ab.
    Aber Amanda strahlte, schlug mit ihren dicken Fingern auf die Tischplatte und sah Sofia an. »Mach mal’nen Kaffee.«
    Sofia nickte, stand stumm auf und ließ die Espressomaschine rattern.
    »Wie kommen Sie eigentlich auf die Schnapsidee, sich bei uns in dieser Jahreszeit einzumieten?«, fragte Amanda grinsend und schlug Jonathan mit ihrer Pranke freundschaftlich auf die Hand.
    Jonathan verstand kein Wort, er erahnte den Sinn der Frage nur und wusste nicht, was er sagen sollte, aber Sofia antwortete bereits für ihn.
    »Er will seine Ruhe haben, Mama. Außerdem kann er kein Italienisch, aber er will es lernen.«
    »Bravo«, knurrte Amanda. Gäste, mit denen sie sich nicht unterhalten konnte, fand sie eher öde.
    Sie verzog das Gesicht. »Ich bin heute Nacht wieder aus diesem verdammten Bett gefallen«, grunzte sie, »meine Schulter ist grün und blau. Du musst mich massieren.«
    »Das mach ich, Mama. – Meine Mutter ist heute Nacht aus dem Bett gefallen und hat Schmerzen«, übersetzte Sofia für Jonathan. »Das passiert ihr häufig. Sie stolpert auch viel oder fällt die Treppe runter.«
    »Das tut mir leid«, meinte Jonathan und konnte sich jetzt das Krachen in der Nacht erklären.
    Amandas Kaffee war fertig. Sie tunkte Weißbrot hinein und aß es laut schlürfend.
    »Der Junge sieht gut aus«, murmelte sie.
    »Mama, hör auf!«, zischte Sofia erschrocken.
    »Warum denn? Ich denke, er versteht kein Italienisch!«
    »Bitte, sei jetzt still!«
    »Phhh!«, machte Amanda und spuckte dabei das halb zerkaute Weißbrot über den Tisch. Jonathan drehte sich der Magen um.
    »Dabei sieht er wirklich gut aus«, murmelte sie mit vollem Mund, »nur ein bisschen alt ist er vielleicht.«
    Sofia stöhnte laut auf.
    »Frag doch mal, was er beruflich macht. Ich will wissen, ob er Geld hat.«
    »Sei jetzt still, Mama! Es reicht!«
    Amanda kicherte, und ihre kleinen Augen verschwanden fast völlig hinter ihren geschwollenen Tränensäcken.
    Jonathan trank seinen Kaffee, aß ein trockenes Brötchen und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Was Amanda genau gesagt hatte, hatte er nicht verstanden, aber er spürte, wie peinlich es Sofia war.
    »Frag ihn, was er vorhat«, verlangte Amanda von ihrer Tochter.
    »Mama, bitte!« Sofia verlor allmählich die Nerven. »Was soll das? Seit wann interessiert es dich, was unsere Gäste vorhaben?«
    »Porcamadonnina, ich werd doch wohl mal fragen dürfen! Was bist du denn heute Morgen so fürchterlich empfindlich? Ist irgendwas? Geht’s dir nicht gut?«
    »Doch.«
    »Na also.« Amanda trank ihren Kaffee aus und pulte sich ungeniert Brotreste aus den Zähnen. »Sag ihm, ich koche heute. Er ist eingeladen. Zum Pranzo um eins.«
    »Wir können ihn doch nicht gleich am ersten Tag derartig

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