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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Jonathan wiederkommen würde. Nur der eine kicherte jetzt noch lauter.
    Dann gingen sie schweigend zum Auto.
    Jetzt, da sie wusste, wo er etliche Nächte verbracht hatte, sah sie, als sie die Eingangstür aufschloss, ihr Haus mit ganz anderen Augen: die Diele mit der Lampe in Form einer Laterne, die ein klares, aber warmes Licht gab, der riesige Spiegel mit Goldrahmen zwischen Küchen-und Wohnzimmertür, der einzige im ganzen Haus, in dem man sich in voller Größe sehen konnte. Sie dachte daran, wie oft sie vor einer Premiere eingehakt vor dem Spiegel gestanden hatten, um die eigene und die Garderobe des anderen zu kontrollieren, wie sie Grimassen geschnitten, gelacht, sich geküsst und schließlich in das schon vor dem Haus wartende Taxi gestiegen waren. Dieser Spiegel war ein Stück Heimat, und wenn sie ihn sah, hatte sie tausend Erinnerungen an Jonathan, als er noch Jonathan gewesen war.
    Im Wohnzimmer setzte er sich direkt an den Tisch, was er sonst nie tat. Sie benutzten den Tisch eigentlich nur, wenn sie Besuch hatten und nicht in der Küche essen wollten. Jonathan hatte einen Lieblingssessel auf dem Podest vor dem Fenster, daneben eine Leselampe und einen kleinen Bistrotisch, auf dem sich Zeitungen, Sachbücher, Kunstbände und Hochglanzmagazine gestapelt hatten.
    Sie hatte es immer gemocht, wenn er in seinem Sessel versunken war und sich durch seine Lektüre wühlte, wenn er irgendwann aufstand, in die Küche ging und mit einem Glas Rotwein zurückkehrte, für das er die Zeitschriften zusammenschob und es mühsam auf den kleinen Tisch platzierte. Es war häufig umgefallen, hatte Zeitungen aufgeweicht und Bücher beschädigt, Jonathan hatte geflucht und die Schuld dem Tisch, aber nie sich selbst gegeben. Jana hatte den Rotwein schnell vom Parkett gewischt und war jedes Mal dankbar, dass an dieser Stelle kein Teppich lag.
    Und jetzt zog ihr Mann einen Park, eine Flasche Schnaps und die Gesellschaft von Pennern dem vertrauten Sessel und dem edlen Rotwein vor.
    Er saß am Tisch, das Kinn auf die Hand gestützt, und wirkte vollkommen verloren.
    Sie setzte sich ihm gegenüber und überlegte, ob sie ihn noch liebte. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass er der Mann war, der vor Ideen und Unternehmungslust nur so gesprüht hatte, der immer zu Scherzen aufgelegt gewesen war und mit dem sie unvergessliche Liebesmomente erlebt hatte. Der auch ein fantastischer Vater gewesen war. Ein Mensch, der alles, was er anfasste, zu Geld machte, weil er einzigartig war und niemand ihm das Wasser reichen konnte.
    Diesen Mann hatte sie geliebt. Das Häufchen Elend, das ihr jetzt gegenübersaß, das lustlos, schweigsam, in sich gekehrt und verbittert, aber neuerdings auch jähzornig und bösartig sein konnte, liebte sie nicht mehr.
    Aber er war wieder zu Hause, und das war gut. Jedenfalls für diese eine Nacht. Wenigstens bis zum nächsten Morgen musste sie sich keine Sorgen mehr machen.
    »Danke, dass du mit nach Hause gekommen bist«, sagte sie und strich ihm übers Haar. Er regte sich nicht.
    Die Stille im Zimmer war erdrückend. Jana hätte es tröstlich gefunden, wenn irgendwo leise Musik gespielt hätte oder von der Straße her Stimmen zu hören gewesen wären. Oder wenigstens eine Uhr, die jede Viertelstunde einen tiefen Gongschlag ertönen ließ.
    Ihr Mann, der immer leidenschaftlich gern Menschen fotografiert und das gesellschaftliche Leben Berlins aus den Angeln gehoben hatte, war wie eine Wachsfigur, die der Künstler an einen Tisch gesetzt hatte und die sich nie wieder bewegen würde.
    Sie fühlte sich wie tot in seiner Nähe. Daher wandte sie sich ab und ging ins Bett.
     
    Jonathan holte sich eine Flasche Grappa, fing an zu trinken und blieb im Wohnzimmer sitzen. Allmählich kam die Müdigkeit, und sein Bewusstsein verblasste. Wenn er betrunken war, konnte er vergessen, wer er war und wer sie gewesen war. Das Leid verschwand für Minuten oder Stunden. Das konnte er nicht so genau sagen. Aber die ersehnte Bewusstlosigkeit war im Park anhaltender und vollkommener gewesen als in der vertrauten Umgebung seines Hauses, in der er die Illusion nicht loswurde, dass die Tür aufgehen und sie plötzlich vor ihm stehen würde.

DREIZEHN
    Am Heiligabend lag nicht das Tal, sondern der Berg in dichtem Nebel. Als Jonathan aus dem Haus trat, stand er vor einer milchig weißen Wand und konnte noch nicht mal die Zypresse erkennen, die nur zehn Meter entfernt gegenüber am Weg stand. Durch die offene Haustür zog der Nebel ins

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