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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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einen Sportbericht stieß. Er rückte seinen Stuhl vom Tisch weg und setzte sich direkt vor den Fernseher.
    Amanda sang immer noch. Immer dasselbe Lied, und ihre Stimme wurde von Mal zu Mal rührseliger und brüchiger.
    Jonathan stand auf und räumte den Tisch ab, stellte das Geschirr in die Spüle und begann abzuwaschen.
    Sofia trat hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Das musst du nicht tun.«
    »Ich weiß. Aber es ist mir ein Bedürfnis, Sofia. Dann fühle ich mich besser.«
    Die Sambucaflasche war leer. Amanda versuchte aufzustehen, fiel jedoch immer wieder zurück auf den Stuhl. Jonathan trocknete sich gerade die Hände ab, um ihr aufzuhelfen, als er den nassen Fleck unter Amandas Stuhl sah.
    Du lieber Himmel, dachte er, was mache ich denn jetzt? Sofia konnte die Lache nicht sehen, und Riccardo saß mit dem Rücken zu Amanda und war ganz auf die Sportsendung konzentriert.
    Jonathan schämte sich. Für Amanda, für alle Anwesenden, als hätte er die Peinlichkeit verursacht. Irgendwo mussten Eimer und Scheuerlappen sein. Vielleicht im Magazin, im Bad hinter der Tür oder unter der Treppe. Zur Not würde er eben Eimer und Lappen aus seiner Wohnung holen. Er würde den See wegwischen und Sofia sagen, Amanda habe etwas Wein vergossen.
    Aber da sah er schon, dass Sofias Nasenflügel bebten. Offensichtlich roch sie, was geschehen war. Sie ging zu Amanda.
    »Mama«, sagte sie, »komm, ich bringe dich ins Bad. Dir ist da ein Malheur passiert.«
    »Lass mich«, fauchte Amanda und schüttelte sie ab wie eine lästige Schmeißfliege, »buon natale, Schätzelchen.«
    Dann sang sie das Lied vom Jesuskind, das im Heu geboren worden war, weiter.
    Jonathan hakte sie unter. »Amanda«, sagte er deutlich, »bitte komm mit mir mit.«
    Amanda sah ihn mit glasigen Augen überrascht an und stand auf. Sie hing schwer in seinem Arm, als sie mit ihm zusammen aus der Küchentür und in Richtung Bad stolperte.
    »Sehr elegant und sehr amüsant«, kicherte sie, bevor sie sich im Bad übergab.
    Jonathan überließ Amanda Sofia, die mitgekommen war und Amanda ins Bett brachte, wischte das Erbrochene mit einem Reinigungsschwamm fürs Waschbecken weg und fand hinter der Badezimmertür auch einen Scheuereimer und einen Lappen, so dass er auch die Pfütze in der Küche aufwischen konnte.
    Dann goss er das Schmutzwasser im Garten aus, wusch den Scheuerlappen an einem Wasserhahn auf der Terrasse, an dem im Sommer der Schlauch zum Gießen angeschlossen wurde, und ging zurück in seine Wohnung, um sich vernünftig die Hände zu waschen.
    Jeder Abend mit Amanda endete in einer Katastrophe. Er musste sich nicht nur für das Haus und die Wohnungen, sondern auch für Amanda etwas überlegen.
    In seinem Zimmer schürte er das Feuer im Kamin, und während er wartete, dass die Flammen kräftiger wurden, spürte er, dass er keine Lust hatte, in die Küche zurückzukehren. Sofia würde es verstehen. Wahrscheinlich hatte sie jetzt mit ihrer Mutter ohnehin genug zu tun. Er brauchte nicht Riccardo beim Fernsehen zuzusehen.
    Allmählich spürte er, wie die Wärme langsam über seine Füße und Beine bis zu seinem Kopf hochstieg, und überlegte, ob er etwas lesen sollte. Doch dann ließ er es bleiben, denn er war viel zu aufgewühlt. In den letzten Tagen war viel passiert: Er hatte Sofia zum ersten Mal geküsst, hatte Jana die Scheidung angeboten, hatte Amandas wohl heftigsten Zusammenbruch erlebt und den Entschluss gefasst, dieser Familie zu helfen. Falls sie dazu bereit war.
    Ungefähr sechzig Meter entfernt, in den Berg geschmiegt und vom Haupthaus uneinsehbar, stand ein alter steinerner Schafstall. Eine Ruine, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt wurde. Im Grunde ideal, um ein kleines Haus für Gäste zu bauen.
    Er holte sich ein Blatt Papier und begann zu zeichnen.
     
    Direkt neben ihm pustete ihm jemand sanft in sein Ohr. »Pssst.«
    Jonathan schreckte aus dem Tiefschlaf hoch.
    Sie lachte leise und drückte sich noch enger an ihn. Ihre zarte Hand fuhr über seinen Hinterkopf, seinen Rücken, sein Gesäß, bis zum Oberschenkel, und ihm wurde heiß.
    Er brauchte Sekunden, bis er begriff, was gerade geschah.
    »Jonathan«, flüsterte Sofia. »Ich bin es.« Und dann begann sie, seinen Körper zu ertasten, zu erfühlen und zu erkunden.
    Sie fuhr seinen Scheitel entlang, massierte Kopfhaut und Haare, strich über die Stirn, die Augenbrauen, die Lider, die Nasenflügel, die Lippen, den Hals entlang, kitzelte die Vertiefung über dem

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