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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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und die Terrassen zwischen den Weinbergen sauber halten, die Straße pflegen und den Wald roden konnte. So eine Ruspa kostete gebraucht sechstausend Euro. Immer hatte er darauf verzichtet und sie sich verkniffen, weil er keine Schulden machen wollte. Und jetzt war Amanda dabei, eine noch größere Summe an einem einzigen Abend zum Fenster hinauszuwerfen.
    »Warum feiern wir nicht im kleinen Kreis, Amanda? Bescheiden, wie es unsere Art ist und immer unsere Art war.«
    »Weil es popelig ist!«, schrie Amanda. »Die Leute sollen wissen, dass jetzt ein anderer Wind weht auf La Passerella. Die Hungerjahre sind vorbei! Unsere Tochter hat einen Städter aus Deutschland geheiratet, wir sind jetzt wer. Niemand braucht mehr die Nase zu rümpfen, wenn wir auf den Markt kommen. Ich will gegrüßt werden, Riccardo! Und die beiden werden Kinder haben. Unser Leben wird sich komplett verändern. La Passerella wird eine Adresse sein, die man mit Respekt in den Mund nimmt, wenn ein Fremder nach dem Weg fragt.«
    Riccardo seufzte. Solchen Schwachsinn hatte Amanda schon lange nicht mehr von sich gegeben.
    »Und warum kann dann unser hochwohlgelobter Herr Schwiegersohn, der die Taschen voller Geld hat, wie du sagst, nicht sein Scherflein zur Hochzeit beitragen? Warum, verdammt nochmal, sollen wir alles bezahlen?«
    »Weil es sich so gehört, du Blödkopp«, fauchte Amanda, »und weil ich mich nicht lumpen lasse. Es ist nun mal seit Jahrhunderten Sache der Brauteltern, die Hochzeit auszurichten, und das werden wir auch schaffen! Die Leute sollen nicht sagen, dass wir noch nicht mal in der Lage waren, unsere einzige Tochter zu verheiraten. Das bisschen Stolz hatte ich dir eigentlich zugetraut, Riccardo Valentini!«
    Riccardo seufzte erneut. Diese Hochzeit hing ihm jetzt schon zum Hals heraus, und er hatte das Gefühl, dass sein mühsam erarbeitetes Leben dabei war, vor die Hunde zu gehen. Aber vielleicht war ja auch das mittlerweile egal. Er sehnte sich nur noch nach Frieden, und sei es in einem kühlen Grab.
    Zum Teufel mit Amanda, mit ihrem Stolz und ihrer Geltungssucht.
     
    Am Tag der Hochzeit war der Himmel schon am Morgen schwarz, und der Wind wehte so stürmisch, dass die Tischdecke auf dem Terrassentisch ständig umklappte und Blätter, Zweige und leere Blumentöpfe durch die Gegend flogen.
    Sofia stand auf dem Hügel vor dem Haus, und jeder Fremde, der sie nicht kannte, hätte vermutet, sie würde die düstere, aber klare Aussicht genießen.
    »Meine Mutter wird verrückt«, sagte sie enttäuscht. »Da hat sie wochenlang gearbeitet und sich auf diesen Tag gefreut – und dann so ein Wetter.«
    Jonathan nahm ihr die langen Haare im Nacken zusammen und drehte sie in den Fingern, so wie er es unzählige Male bei Giselle getan hatte. »Wart’s ab. Vielleicht sieht es ja nachher ganz anders aus. Der Wind ist so stark, könnte ja sein, dass er die Wolken davonfegt und heute Abend wieder klarer Himmel ist.«
    »Hoffentlich.«
    »Ach, und noch etwas, Sofia. Bitte trage die Haare heute Abend so, im Nacken zusammengebunden. Es steht dir so gut! Trage es so oft wie möglich so, ja?«
    Sofia nickte und lächelte.
    In diesem Moment stürzte Amanda aus dem Haus. »Madonna puttana!«, blökte sie noch im Laufen. »Jetzt seht euch dieses Mistwetter an! Da heiratet meine Tochter einmal im Leben, und dann so was!«
    Sofia ging ins Haus. Es war ihr nicht wichtig, wie das Wetter am Abend war, der ganze Trubel um diese Heirat machte sie ohnehin nervös. Am liebsten hätte sie nur still in Jonathans Armen gelegen und geflüstert: »Ich werde dich immer lieben. Bis ans Ende meiner Tage.« Aber jetzt würde es zig Zeugen dieses intimen Moments geben, und Sofia fürchtete sich davor.
     
    Um fünfzehn Uhr begann die Messe. Die kleine Kapelle war brechend voll, und sogar noch draußen vor der Tür standen Hochzeitsgäste und versuchten, einen Blick auf Braut und Bräutigam zu erhaschen.
    Zum ersten Mal seit Jahren oder Jahrzehnten hatte Riccardo kein kariertes Hemd und keine Arbeitshose an. Amanda hatte darauf bestanden, ihm einen dunklen Anzug zu kaufen, was er maulend hatte über sich ergehen lassen. Jetzt allerdings spürte man schon seinen Stolz, als er Sofia – während die Orgel den Hochzeitsmarsch spielte – zum Altar führte, wo Jonathan bereits auf sie wartete.
    Amanda saß in der ersten Reihe und putzte sich demonstrativ die Nase.
    Sofia trug ein schmales weißes Kleid und hatte einen Kranz aus weißen Blüten im Haar. Sie sah aus wie ein

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