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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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neben dem Bleistiftspitzen eine Abwechslung geboten hätte. Aber die Touristen liefen quietschfidel in kurzen Hosen und Sandalen durch die Gegend, auch wenn es schüttete und der Wetterbericht fünfzehn Grad Höchsttemperatur versprach, suchten im Supermarkt Cola light und Nutella und holten sich höchstens mal einen Zeckenbiss, der bei ihnen dann allerdings eine mittelschwere Panik auslöste, mit der sich der Pronto Soccorso in Montevarchi herumschlagen musste.
    Alfonso setzte sich auf den Mauervorsprung und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Dadurch wurde sein Kopf zwar nicht besser, aber das war ihm egal. Er wollte nur noch weg hier. Weg, nach Hause und ins Bett.

SECHSUNDZWANZIG
    Jetzt am Vormittag war der Himmel bereits leuchtend blau, was nicht selbstverständlich war, die letzten Tage waren durchweg diesig gewesen und der Himmel blass.
    Ingrid fuhr bei weit geöffnetem Fenster langsam den holprigen Weg entlang und war richtig froh. Sie hatte neben vielen anderen Dingen ein paar Gamberetti zum Abendbrot besorgt, die gut zum Ciabatta passten, außerdem Parmaschinken und toskanische Salami, frischen Salat, Sellerie, Knoblauch und Tomaten und zum Frühstück Kirschen, Engelberts Lieblingsobst.
    Was für ein herrlicher Tag, dachte sie und dankte dem Himmel für die tiefe Zufriedenheit, die sie in diesem Moment empfand.
    Kurz vor der Schlucht kam ihr ein Wagen der Ambulanz entgegen, was sie merkwürdig fand, da es an dieser Straße außer La Passerella keine weiteren einsamen Gehöfte gab.
    Die beiden Wagen trafen sich an einer engen Stelle. Ingrid setzte ein paar Meter zurück und fuhr rückwärts in einen schmalen, zugewucherten Weg, damit der Krankenwagen passieren konnte.
    Ingrid fand die Begegnung mit dem Notarzt zwar irgendwie irritierend, zwang sich aber, nicht mehr daran zu denken. Der Tag war viel zu schön, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Als sie La Passerella erreichte, sah sie als Erstes das Auto der Carabinieri. Jetzt bekam sie es mit der Angst zu tun. Erst der Krankenwagen, dann die Carabinieri. Was war hier passiert?
    Sie fuhr vor bis zur Casa Gioia, stieg aus, nahm ihre Einkaufstüten und ging am Haus entlang. Da hörte sie schon die Stimmen, und ihr Herz begann noch schneller zu schlagen.
    Das Erste, was sie sah, als sie um die Hausecke bog, war ein weißes Laken auf dem Fußboden am Ende der Treppe. Ein weißer Fleck zwischen blühenden Geranien, Hibiskussträuchern, Rosenstöcken und Oleanderbüschen, der in der Sonne blendete. Es war etwas, das da ganz und gar nicht hingehörte und ihr Angst machte. Undeutlich zeichnete sich unter dem Laken die Form eines Körpers ab.
    Sie registrierte unscharf, dass Jonathan Valentini und zwei Carabinieri sie anstarrten, Sofia saß auf dem kleinen Mäuerchen und hatte verweinte Augen. Engelbert war nicht da.
    »Engelbert«, flüsterte sie, aber niemand reagierte.
    »Engelbert«, sagte sie noch einmal, aber ihr Ton klang wie eine Frage.
    Schließlich ging Jonathan auf sie zu und legte ihr den Arm um die Schulter.
    »Frau Kerner«, sagte er leise und betont ruhig, »Ihr Mann hatte einen schrecklichen Unfall. Er ist diese Treppe hier hinuntergestürzt.«
    »Und?« Ihre Stimme kippte weg, sie klang hoch und ganz jung.
    »Er ist tot, Frau Kerner, und es tut mir so unendlich leid!« Er nahm sie in den Arm und wollte ihr Gesicht an seine Schulter drücken, aber sie schob ihn weg und ging zu der Stelle, wo der Leichnam ihres Mannes unter dem Laken lag.
    Neri und Alfonso traten auf sie zu, gaben ihr die Hand und verbeugten sich leicht.
    »Mi dispiace«, sagten beide.
    Ingrid sah aus, als hätte sie weder etwas gehört noch etwas begriffen, denn sie wirkte sehr gefasst, hockte sich hin und hob das Laken an.
    Der Anblick des blutüberströmten Gesichts mit den starren toten Augen, die gen Himmel blickten, traf sie wie ein Keulenschlag.
    »Sieh mich an!«, flüsterte sie. »Bitte, sieh mich an. Engelbert, bitte!« Sie nahm seinen blutüberströmten Kopf in beide Hände und streichelte ihn. Dann drückte sie ihre Wange gegen seine.
    »Engelbert! Komm zu mir zurück! Bitte, Liebster!«
    Niemand sagte ein Wort, noch nicht einmal ein Räuspern war zu hören.
    Ingrid legte ihren Kopf auf seine Brust und weinte.
     
    Irgendwann, mehrere Stunden später, war die Leiche abtransportiert, die Carabinieri weggefahren, und Jonathan und Sofia hatten sich zurückgezogen, aber nicht ohne Ingrid mehrmals freundlich und ausdrücklich zu sagen: »Bitte sagen Sie Bescheid,

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