Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Sie mir Wissenswertes über den Beruf des Leichenbestatters erzählen«, dachte sie sich auf die Schnelle aus und schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. »Es würde wahrscheinlich auch dem Geschäft nicht schaden, in einem Artikel Erwähnung zu finden.«
Er erwiderte ihr Lächeln.
»Da ist was Wahres dran. Der Sommer ist eine ruhige Saison. |355| Im Winter haben wir mehr zu tun. Was möchten Sie denn wissen?«
In Dictes Kopf tauchten der Pflasterstein in ihrem Wohnzimmer und die Glasaugen aus der Urne auf. Sie hatte mittlerweile alles zusammengesetzt und war zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Bestattungsinstitut, das für das Begräbnis verantwortlich gewesen war, etwas mit dieser Sache zu tun haben musste. Aber jetzt war sie sich da nicht mehr so sicher. Sie war auf so viel Entgegenkommen nicht gefasst gewesen. Interessiert sah sie sich im Geschäft um. Es wirkte gar nicht mehr so bedrückend.
»Könnten Sie mir eventuell eine kleine Führung geben?«, schlug sie vor. »Ich glaube, die Leser würden wahnsinnig gerne wissen, was so hinter den Kulissen vor sich geht. Der Tod beschäftigt die Menschen im Moment sehr.«
Er nickte und öffnete eine angrenzende Tür.
»Solange ich keine Kunden habe, wird es nichts schaden, sich ein wenig umzuschauen. In diesem Raum führen wir das erste Gespräch mit unseren Kunden.«
Es war eine Art Büro, hell und freundlich, und trotzdem war da etwas Beklemmendes. Dictes Kopfschmerzen meldeten sich wieder. Vielleicht lag es daran, dass die Wände so kahl waren und dadurch der Raum so nüchtern und sachlich wirkte.
»In diesem Raum haben wir die Särge aufgestellt«, sagte er und schritt einmal quer durch das Geschäft und öffnete eine andere Tür. »Selbstverständlich ist das nur eine kleine Auswahl, einer von jeder Sorte. Wir haben ein Depot, in dem wir unsere Bestände lagern.«
»Na ja, Sie haben ja auch drei Filialen«, sagte Dicte und betrat den Raum. »Da kommen bestimmt einige zusammen.«
»Hier können Sie sich die Auswahl ansehen. Da ist für jeden Geldbeutel was dabei.«
Dann bekam sie einen Vortrag über Sargpreise und über die sonstigen Verantwortlichkeiten eines Leichenbestatters, so zum Beispiel die Absprachen mit der Friedhofsverwaltung, dem Erbschaftsgericht, dem Krankenhaus und dem Pfarrer.
|356| »Aber wir bieten nicht nur christliche Bestattungen an. Uns sind alle Glaubensrichtungen willkommen«, sagte er.
»Und davon gibt es immer mehr, vermute ich?«
Er nickte.
»Die Zahl derjenigen, die einen offenen Sarg wollen, wächst stetig an. Dadurch steigen auch die Anforderungen an uns, damit die Toten ansprechend aussehen.«
»Und wie bewerkstelligen Sie das?«
Sie wurden von der Melodie
Schlaf, Kindchen , schlaf
unterbrochen. Er zuckte bedauernd mit den Schultern.
»Verzeihen Sie bitte. Die Pflicht ruft. Wir müssen zurückgehen.«
Sie folgte ihm zurück in den Hauptraum. Dort standen zwei Frauen und wirkten nervös. Mutter und Tochter, riet Dicte. Der Leichenbestatter begrüßte sie herzlich, und bevor jemand »Sargdepot« hätte aussprechen können, waren die drei bereits in ein angeregtes Gespräch über das Begräbnis des Vaters verwickelt, und die beiden Frauen wirkten zunehmend entspannter. Dicte beobachtete eine Weile, was für eine Wirkung die Liebenswürdigkeit des Mannes auf die Kundinnen hatte. Dann drehte sie sich um und ging zurück in den Raum mit den Särgen und Urnen, die in den Regalen standen wie einsatzbereite Soldaten. An der einen Wand entdeckte sie eine weitere Tür. Die war verschlossen. Das Schloss war von der Sorte, die man ganz einfach mit einem Stück Stahldraht öffnen konnte. Sie wühlte in ihrer Handtasche und fischte nach dem Autoschlüssel, dessen Schlüsselring schon lange kaputt war und nur noch aus der dicken Stahlspirale bestand, die sie immer wieder zusammendrücken musste, damit sie überhaupt hielt. Jetzt bog sie die Spirale ganz auf und nahm die Schlüssel ab. Dann beugte sie sich über das Schloss und schob den Draht langsam hinein. Kurz darauf hörte sie das Klicken und öffnete die Tür.
Der Raum war dunkel, sie tastete an der Wand nach dem Lichtschalter.
Vorsichtig sah sie sich um. Es war, als wäre sie in den Obduktionssaal eines Pathologen geraten. In der Raummitte stand ein |357| Stahltisch, unter dem sich im Fußboden ein Abfluss befand. Dahinter war ein Waschbecken angebracht, an dem ein Schlauch mit Handbrause hing, der bis zum Stahltisch reichte. Soweit sie das erkennen konnte, verfügte der
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