Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
hättest doch mailen oder anrufen können.«
Sie sank immer tiefer in den Sitz und zog ihre Hand zurück. Am liebsten hätte sie gesagt, dass er schließlich auch hätte anrufen können. Allerdings hatte er das auch getan. Sie hatte nur nicht jedes Mal zurückgerufen, und als sie sich dann endlich gesprochen hatten, hatte sie nicht die richtigen Worte für das alles gefunden.
»Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
»Keine Sorgen machen! Es ist doch viel schlimmer, wenn du nichts sagst, wann begreifst du das endlich? Verstehst du nicht, dass es auf unsere Kosten geht?«
Verstand sie das? Sie sah aus dem Fenster. Liebte sie nur das Spiel mit dem Feuer? War sie in Wirklichkeit nur beklagenswert süchtig nach Spannung? Hoffentlich nicht.
|360| »Du kannst ja morgen mit ins Krankenhaus kommen«, bot sie ihm an.
»Ich habe einen Job.«
»Okay.«
»Um wie viel Uhr?«
»Um zehn.«
Er fuhr am Fluss entlang, bog in die Østergade und parkte kurz darauf in der Straße hinter der Redaktion. Sie gingen zusammen hoch. Im Treppenhaus streifte seine Hand ihren Po, und sie wusste, dass es nicht zufällig geschehen war. Er wollte signalisieren, dass er bereit war, ihre Opfergabe anzunehmen, obwohl sie alles andere als ausreichend war.
»Ich kann das bestimmt jemand anderen machen lassen«, sagte er.
Sie blieb vor der Redaktionstür stehen, er stieß sie auf.
»Aber nur, wenn du mir alles von diesem Leichenbestatter erzählst.«
Sie machten sich einen Kaffee und setzen sich in die Küche. Holger und Cecilie waren da, ansonsten waren die Räume noch verwaist. Dicte machte es sich gemütlich, legte die Füße auf einen Stuhl und zeigte ihm das Glasauge, während sie ihren Bericht ablieferte.
»Da ist was faul«, fasste sie am Ende zusammen.
Er betrachtete sie eine Weile eingehend. Dann blieb sein Blick an ihren einst so weißen Adidas-Turnschuhen hängen.
»Bo?«
»Mhm?«
Er beugte sich vor.
»Still sitzen.«
Sie zuckte unwillkürlich zusammen.
»Jetzt sitz doch mal still, verdammt.«
Sie erstarrte. Er kratzte etwas aus der Sohle ihres Turnschuhs und legte es sich auf die flache Hand.
»Was ist das?«
»You tell me?«
|361| Sie hatte das schon einmal irgendwo gesehen. Es sah aus wie zwei kleine, herzförmige Silberpailletten.
Und sie wusste auch, wie und wo sie an ihre Schuhsohle gekommen waren.
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Kapitel 55
Kiki wachte mit einem Ruck auf. In dem Zustand zwischen Träumen und Wachen war ihre Klaustrophobie wieder erwacht. Sie kannte diese Angst, sie begleitete sie seit ihrer Kindheit. Nur bei Sexspielen konnte sie Fesseln ertragen und dann auch nur in dosierten Mengen. Aber das hier war kein Spiel, und es gab kein magisches Wort, das alles sofort beenden würde.
Panik stieg in ihr auf, der Angstschweiß platzte aus ihren Poren, aber sie versuchte, dagegen anzukämpfen. Es würde nichts nützen, wenn sie sich jetzt übergab oder hyperventilierte. Es wäre nur ihr sicherer Tod.
Aber vielleicht war sie sogar schon tot? Zumindest war in ihr etwas gestorben, da war sie sich ganz sicher. Allerdings wusste sie nicht genau, wann das geschehen war. Vielleicht schon ganz früh in ihrem Leben.
Sie wand sich in ihrer unbequemen Stellung. Wo war sie nur? Es roch verbrannt, nach längst erkaltetem Feuer. Er hatte sie gefesselt. Um sie herum war es pechschwarz, ihre Hände und Füße waren gefesselt, und sie lag in einer engen Kiste. Mit den Füßen berührte sie die Wand hinter sich, dann schob sie sich weiter nach oben und stieß auch dort sofort an eine Wand. Sie versuchte, sich weiter nach unten zu schieben und erreichte nach wenigen Zentimetern das Fußende. Es war ein Sarg. Er hatte sie in einen fucking Sarg gesteckt. Hatte er sie auch begraben? Lag sie bereits in einem Loch unter der Erde? Kämen bald schon die ersten Würmer, um sie zu zerkleinern?
Sie versuchte, sich zu beruhigen. Über ihr war keine Erde. Im |362| Gegenteil, im Deckel befanden sich Löcher, sonst würde sie keine Luft bekommen. Und er würde sonst auch nicht wiederkommen und sie ein weiteres Mal misshandeln können, so wie er es bereits ein, zwei oder sogar schon drei Male getan hatte. Er konnte sie zu nichts gebrauchen, wenn sie unter der Erde lag. Und das hatte er vor. Sie zu gebrauchen. Das hatte sie auf eine sehr schmerzhafte Weise erkennen müssen, es war so anders für sie gewesen als mit dem anderen. Aber vielleicht war das ihre Chance, wenn es überhaupt eine Chance gab.
Sie hatte das Gefühl für Zeit verloren. Sie
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