Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
der letzten Tage liegen konnte, die ihn vom Sommerhaus in Løkken in die Untersuchungshaft in Århus geführt hatte. Dort war die Aussicht doch eine andere als auf die Wellen der Nordsee.
Hansen stellte seine Frage erneut, anders formuliert:
»Arne Bay wurde erstochen. Ein Messer steckte in der Mitte seines keltischen Kreuzes, das Sie sicherlich kennen. Um Ihretwillen sollten Sie uns vielleicht erzählen, was da los war. Solche Ereignisse neigen dazu, sich zu wiederholen.«
Jan Møllers Blick sprang von Wagner zu Hansen, durch den Verhörraum, als würde er nach einem Ausweg suchen. Seine Augen verrieten eine kalte Intelligenz. Der junge Mann stammte aus einer sogenannten besseren Familie. Sein Vater war der Geschäftsführer der größten Konservenfabrik der Stadt. Er hatte zwei Geschwister, die ganz gut aufgestellt waren und beide ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Jan Møller war das mittlere Kind der Familie. Bei ihm war so einiges schiefgelaufen, aber immer hatte die Familie ihre schützende Hand über ihn gehalten und ihm teure Anwälte zur Seite gestellt, die ihm die eine oder andere Verfahrenseinstellung erstritten hatten. Aber jetzt war damit Schluss. Direktor Erling Møller hatte mitteilen lassen, dass sein Sohn jetzt allein zu seinen Taten stehen müsse, |348| worunter der Totschlag an seiner Freundin tatsächlich die entscheidende war. Diese hatte er so gut wie gestanden, obwohl er beteuert hatte, dass es nicht beabsichtigt gewesen sei, dass sie an ihren Verletzungen sterben sollte, nachdem er sie zusammengeschlagen hatte und dann geflohen war.
»Okay«, sagte der Mann endlich und richtete sich dabei an Wagner, der bisher noch kein Wort gesagt hatte. »Vielleicht können wir ein Geschäft machen? Ich helfe euch, und ihr helft mir. Ist das ein Deal?«
Wagner heftete seinen Blick auf den Mann vor sich.
»Wir sind hier nicht in einem Ami-Film. Wir machen keine Geschäfte.«
»Natürlich tut ihr das. Alle machen das.«
Es wurde still im Raum. Dann erwiderte Wagner:
»Was würden Sie sagen, wenn wir Ihnen erzählen würden, dass Bay Sie in richtige Schwierigkeiten gebracht hat, bevor er getötet wurde?«
Er bückte sich und hob eine Tasche vom Boden. Ohne ein Wort zog er eine Akte nach der anderen heraus und stapelte sie übereinander, bis ein richtiger Turm entstand, der umzukippen drohte.
»Wir haben so viel gegen Sie in der Hand, dass wir gar nicht wissen, womit wir anfangen sollen.«
Wagner legte eine Hand auf den Stapel. Jan Møller starrte ihn fassungslos an.
»Das ist doch gelogen!«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wir haben Bays Wohnung schon längst durchsucht. Uns fehlen noch einzelne Puzzlestücke, ansonsten haben wir alles zusammengetragen.«
»Wir können Ihnen keine Sonderbehandlung vor Gericht zusagen, das wissen Sie schon«, warf Hansen ein. »Aber der Richter weiß es zu schätzen, wenn er den guten Willen erkennt, und er könnte den durchaus belohnen, ganz unabhängig davon, wie wir die Sache sehen.«
Jan Møller sah zunächst noch verschlossener aus als zuvor. |349| Niemand sprach ein Wort. Wagner griff sich eine der Akten vom Stapel und begann darin zu blättern. Hansen holte sein Handy hervor und tippte eine SMS mit der Fingerfertigkeit eines Teenagers. Wagner spürte, wie Møller seinen Blick nicht vom Stapel wenden konnte. Es gab keinen Anlass, ihm zu erzählen, dass sich in den meisten Akten nur weißes Papier befand.
»Das war doch gar nichts Großes«, fing Møller endlich an zu reden und starrte dabei auf die Tischplatte. »Das war doch nur ein Taschengeld.«
»Hatte Daddy den Geldhahn zugedreht?«, fragte Hansen und kassierte dafür einen warnenden Blick von Wagner.
Jan Møller aber nickte nur.
»Ich hatte ja schließlich Ausgaben. Die hatte Arne auch. Die mussten gedeckt werden.«
»Auch wenn das kriminell war?«, fragte Hansen, die Rechtschaffenheit in Person.
Møller zuckte mit den Schultern.
»In dieser Scheißgesellschaft? Wo bitte ist da der Unterschied?«
Wagner seufzte und hoffte, dass Hansen nicht anbeißen würde. Er hatte keine Lust auf eine pseudopolitische Diskussion mit einem bekloppten Neonazi.
»Und wie haben Sie das Taschengeld verdient?«, beeilte er sich deshalb zu fragen.
Møller zuckte erneut mit den Schultern, als würde ein unendlich schweres Gewicht an ihnen hängen.
»Arne hatte die Kontakte. Wir waren nur eine Art Fahrer. Jetzt fragt ihr bestimmt, was wir gefahren haben, aber ich hatte keine Ahnung und wollte es auch
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