Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Leichenbestatter auch über die Geräte und Instrumente eines Pathologen, die an den Wänden hingen und in den Regalen standen. Alles sah sauber, ordentlich und makellos aus, und doch hing der Geruch von Tod in der Luft, kletterte in ihre Nasenlöcher und verursachte ihr Übelkeit. War so etwas hier üblich? Das konnte durchaus sein. Vielleicht hatten alle Bestattungsinstitute so einen Raum, was wusste sie schon darüber?
Sie unterdrückte die Übelkeit, ignorierte den pochenden Kopfschmerz und trat ganz nah an den Stahltisch heran. Unter das Waschbecken war ein Rollschrank geschoben, den zog sie hervor. Darauf waren mehrere Flaschen mit übelriechenden Flüssigkeiten aufgereiht sowie Gläser mit Gazerollen und Wattekugeln. Daneben stand ein Kasten, der mit einem weißen Tuch abgedeckt war. Sie hob es hoch. Sie lagen wie Weihnachtskugeln in ihren Schälchen, jedes ruhte auf einem Stück Stoff. Sie musste sich am Stahltisch festhalten. An die fünfzig Glasaugen starrten sie an.
Es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann nahm sie eines der Augen in die Hand. Es war ganz eindeutig ein Halbfabrikat. Alle Farben waren identisch, entweder blau oder braun, und es gab keine Nuancen. Diese Augen waren für Tote vorgesehen, bei denen solche Details keine Rolle mehr spielten.
Sie fuhr zusammen, als die Melodie der Türglocke ertönte. Entweder war noch weitere Kundschaft gekommen oder aber, und das war wahrscheinlicher, die Frauen hatten sich auf den Weg gemacht. Hastig steckte sie das Glasauge in die Jackentasche, deckte den Kasten wieder zu und huschte so schnell es ging zurück in den Verkaufsraum. Für einen kurzen Moment schien das Gesicht des Leichenbestatters zu einer wütenden Maske verzerrt, aber innerhalb des Bruchteils einer Sekunde war |358| die wieder verschwunden. Vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet. Er lächelte sie an.
»Vielleicht können wir das Interview ein andermal machen? Gleich kommt ein Kunde, mit dem ich einen Termin vereinbart habe.«
»Aber natürlich«, erwiderte sie und lächelte, zog ihren Notizblock hervor und stellte ihre letzte Frage. »Ich habe mir Ihren Namen vorhin gar nicht notiert.«
Kaum hatte sie Bo von ihrem Besuch bei Marius Jørgensen & Sønner erzählt, bereute sie es auch schon wieder.
»Du übergehst mich.«
Wütend stapfte er zurück zum Wagen, nachdem sie gemeinsam der Pressekonferenz zu der vermissten Kirstine Laursen und zu den Obduktionsergebnissen von Arne Bay beigewohnt hatten. Verstohlen sah sie in sein Gesicht, wo die Frustration deutlich abzulesen war. Er riss die Autotür ein bisschen zu heftig auf und warf seine Kameras auf den Rücksitz.
»Du hättest mir ruhig erzählen können, dass du zu diesem Bestattungsinstitut fährst. Verdammt noch mal, Dicte, dir hätte doch was passieren können.«
Sie versuchte die Beifahrertür zu öffnen, was sich als schwierig gestaltete, weil der Griff kaputt war.
»Hilf mir doch bitte mal.«
Einen Augenblick starrte er sie angriffslustig über das Autodach an. Dann setzte er sich hinters Steuer und öffnete ihr die Tür von innen. Sie stieg ein.
»Du hast mir auch nicht erzählt, dass du Winkler ein zweites Mal aufgesucht hast.«
»Der ist doch wohl nicht gefährlich!«, sagte sie und starrte aus der Frontscheibe.
»Das weiß man doch nie so genau.«
Bo startete den Motor und fuhr rückwärts aus der Parklücke. Sie hätten auch zu Fuß gehen können, aber Bo hatte immer so viel Ausrüstung, die er mit sich rumschleppen musste.
|359| »Und wann ist dieses Informationsgespräch mit der Krankenschwester noch gleich?«
Sie schluckte den Kloß im Hals herunter.
»Da bin ich schon gewesen.«
Er knetete das Lenkrad, sie konnte das an den weißen Knöcheln sehen.
»Du warst doch weg, in Polen, wenn du es vergessen haben solltest.«
Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich zusehends. Lange saß er stumm neben ihr, bevor die Fragen aus ihm rausplatzten.
»Und wie war das Ergebnis eures Gesprächs? Wann entfernen sie dir deine Niere?«
Sie wagte es, eine Hand auf seinen Oberschenkel zu legen.
»Die entfernen mir noch keine Niere. Aber ich muss für vier Tage zu einem Generalcheck, ab morgen.«
Er sprang förmlich im Sitz auf und drehte sich zu ihr.
»Vier Tage?«
»Ambulant!«, beruhigte sie ihn. Ihre Hand lag noch an Ort und Stelle, war aber jederzeit bereit, sich zurückzuziehen.
Er schüttelte den Kopf. »Du bekommst echt den ersten Preis für Verschwiegenheit. Mann, du
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