Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
sie ihre Hand weg.
»In einem Punkt hast du recht«, sagte sie. »Du bist ein Monster. Du hast noch nicht einmal verdient, eine neue Niere zu bekommen.« Eigentlich wollte sie das gar nicht sagen, aber er |385| schien das Schlimmste und Hässlichste in ihr zum Vorschein zu bringen. »Und dir ist keine Sekunde lang eingefallen, dass ich noch eine andere Ware für dich habe, da wir ja nun von einem Tauschgeschäft sprechen. Ich habe noch eine Information auf Lager.«
Ein mildes Lächeln schmückte sein Gesicht. »Doch, doch, das hab ich auf dem Schirm.«
»Wir können einen Namenstausch vornehmen«, bot sie an. »Der Name deines Vaters gegen den deines Zellenkameraden. Hast du das verstanden? Wenn wir diese Kiki nicht bald finden, wird sie sterben und wahrscheinlich noch viele andere mit ihr?« Wieder zeigte sie mit dem ausgestreckten Finger auf ihn. »Dort draußen sind Menschen, die an Infektionen und anderen Krankheiten sterben werden, weil ihnen nicht getestetes, verunreinigtes Gewebe transplantiert wird. Wir wissen nicht, wie vielen Menschen es schon das Leben gekostet hat.«
Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und studierte eingehend die Platten der Deckenverschalung. Aber sie wusste, dass er zuhörte.
»Ich war bei dem Bestattungsinstitut Marius Jørgensen & Sønner in der Vestergade. Dort habe ich einen Raum entdeckt, der eingerichtet ist wie der Traum eines Pathologen. Stahltisch, Säge, Zange, Schlachtermesser, Augenprothesen, you name it. An diesem Ort wurde Mette Mortensen getötet. Dort wurden ihr die Knochen und die Augen aus dem Körper geschnitten.« Sie packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn. »Gib mir einen Namen, und du kannst Kiki vor demselben Schicksal bewahren.«
Er sah sie stumm an, dann richtete er sich auf, so gut das ging mit den Schläuchen, die in seinen Arm führten, und drückte ihr einen feuchten Kuss auf die Wange.
»Du bist so niedlich, wenn du dich aufregst, Mutter.« Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. Es war deutlich zu sehen, wie müde er war. »Du kannst jetzt gehen.«
Fassungslos starrte sie ihn an. In ihr kämpften Verachtung und |386| Abneigung mit einem unbekannten Gefühl von Zärtlichkeit und einer leisen Wehmut, etwas loslassen zu müssen, was niemals gewesen war und niemals sein würde.
»Du hast recht«, sagte sie dann. »Du kannst einem wirklich leidtun. Und zwar in vielerlei Hinsicht.« Sie packte ihre Tasche und verließ das Zimmer, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
Bo stellte keine Fragen, sondern legte seinen Arm um sie und folgte ihr hinaus auf den Parkplatz. Sie wollte ihm so gerne alles erzählen, aber es steckte in ihr fest und wollte nicht heraus. Schweigend fuhren sie zurück in die Redaktion, wo sie ein enttäuschter Holger empfing, der sich um seinen Chefredakteursposten betrogen sah.
»Bei dieser verdammten Zeitung weiß man auch nie, ob man fürs Vermischte oder für die Sportseite schreiben soll.«
Dicte schenkte ihm ihr lieblichstes Lächeln, während Bo in der Küche verschwand, um Kaffee zu machen. Helle, Cecilie und Davidsen arbeiteten alle, hauten in die Tasten, lasen die Blätter der Konkurrenz und führten mit souveränen Mienen Telefoninterviews.
»Du kannst dich ja woanders bewerben. ›Neue Herausforderungen‹, sagt man doch dazu, oder?«
Die Hoffnung in ihrer Stimme musste sie verraten haben, denn Holger grinste.
»Das hättest du wohl gern, Svendsen. Nee, nee. So leicht wirst du mich nicht los.«
»Habe ich befürchtet«, murmelte sie und kümmerte sich um ihren E-Mail-Posteingang. Die Ereignisse des Morgens saßen ihr noch tief in den Knochen.
Bo kam zurück, einen Becher mit dampfendem Kaffee in der Hand.
»Koffeinfrei«, sagte er und stellte ihn vor ihr ab.
»Und was kommt als Nächstes?«, schmollte sie. »Zimtschnecken mit Süßstoff?«
|387| Bo lächelte.
»Mhm. Man kann doch mal ein bisschen experimentierfreudiger mit den Zutaten sein.«
»Pass bloß auf, dass ich nicht mit deinen Zutaten experimentiere«, sagte sie und ließ ihren Blick an seinem Körper hinuntergleiten.
Er grinste sie fröhlich an.
»Ich hätte nichts dagegen!«
Ihr Festnetzanschluss gab ein Klingelzeichen von sich.
»Dicte Svendsen.«
»Kim Deleuran«, sagte Boutrups Stimme. »Sie haben ihn Sharon genannt, wie den Premierminister von Israel, aber ich glaube nicht, dass er Jude war. Bay hat ihn ein paarmal besucht. Die waren damals Brüder, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Wie sieht er aus?«
»Sehr
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