Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Sommer zu verbringen. Oder vielleicht doch? Frische Luft. Grüne Wellen. Alles war besser, als nur herumzustehen und wie ein Goldfisch im Aquarium durchs Glas zu glotzen, hilflos gefangen in seinen Gefühlen.
Verzweifelt versuchte er, seine Gedanken auf weniger gefährliches Terrain zu lenken, wie das Wetter oder den Segelsport. Aber vom Segeln war es nicht weit bis zum Golfen. Er fühlte sich wie ein kompletter Idiot bei der Vorstellung, dass Torben Smidt den Eindruck bekommen hatte, dass Palle Vejleborg auch ihn, Janos, zum Golfen eingeladen hatte. Als würde er auf die Idee kommen, mit einem intellektuell Zurückgebliebenen etwas zu unternehmen, der des Eides des Hippokrates nicht würdig war.
Er hatte Vejleborg immer schon mit gemischten Gefühlen gegenübergestanden. Seit den gemeinsamen Semestern an der Uni. Er hatte ihm nie Respekt entgegenbringen können.
Der Schweiß lief ihm an Stirn und Hals herunter. Die Worte von Torben Smidt klangen in seinen Ohren. Wie hatte er das noch gleich gesagt, als sie über ihre Macht gesprochen hatten, die Position der Patienten auf der Warteliste zu manipulieren? »Eines Tages werden wir mit so einer Situation konfrontiert werden. Oder für uns als Privatperson eine ähnliche Entscheidung |378| treffen müssen. Dann wird es interessant, ob Theorie und Praxis deckungsgleich sind.«
Er selbst hatte es für gefährlich gehalten, den guten, nützlichen Bürger vor den Verbrecher und den Steuerbetrüger auf die Liste zu setzen. Und dieser Ansicht war er noch immer. Aber war das, was er tat, dasselbe? Gehörte es in dieselbe Schublade, wenn man versuchte, seine Liebste vor dem Erblinden zu retten?
Er atmete tief aus und sah, wie die Scheibe beschlug. Die Liebe machte es zu etwas anderem. Liebe überwand alle Hindernisse, das war sein neues Motto, und es fühlte sich gut und so menschlich an. Man musste unterscheiden zwischen einer Tat, die aus niederen Beweggründen – aus verbrecherischen oder zumindest unethischen Motiven – begangen wurde und einer Tat, die aus Liebe geschah.
Ersteres scheiterte in der Regel. Letzteres versuchte erst gar nicht, die Welt zu retten, und fiel deshalb auch nicht unter die Diagnose des Größenwahns. Es war eine kleine Handlung, die er nur für Lena tat, nicht für sich selbst. Sie war selbstlos, oder etwa nicht? Und darum auch entschuldbar. War es nicht gerade das menschliche Moment, das uns von Robotern unterschied?
»Na, du?«
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. »Stehst du hier herum und philosophierst?«
Er drehte sich um. Vejleborgs Lippen umspielte ein zufriedenes Lächeln, für seinen Geschmack ein bisschen zu sehr.
»Wie ist es gelaufen?«
»Prima. Es gab keine Komplikationen.«
Die Hand auf seiner Schulter erhöhte den Druck und führte ihn aus dem Wartezimmer. »Wir lassen sie sich jetzt ein bisschen ausruhen, du kannst sie dann später besuchen. In der Zwischenzeit sollten wir beide uns in Ruhe bei einem Happen unterhalten.«
Vejleborg sah auf die Uhr.
»Ich bin wahnsinnig hungrig. Kennst du das nicht auch nach OPs? Dieses beruhigende Gefühl, etwas Gutes getan zu haben?«
|379| Janos überkam eine Übelkeit, gleichzeitig meldete sich aber auch sein fachlicher Stolz zu Wort. Er wollte am liebsten dagegen protestieren, dass seine Arbeit mit der eines Verbrechers verglichen wurde. Aber leider hatte Vejleborg jetzt etwas gegen ihn in der Hand, und er musste zumindest so tun, als sei er ganz aufgeräumt.
»Ja, klar. Ein Happen zu essen kann nicht schaden«, sagte er und wusste, dass er keinen Bissen herunterbekommen würde.
»Komm mit. Ich kenne da einen kleinen Laden, wir fahren hin.«
»Aber Lena …?«
Der Druck der Hand auf seiner Schulter nahm zu.
»Sie muss sich jetzt ein, zwei Stunden ausruhen. Und jetzt kein ›Aber‹ mehr. Ich lade dich ein.«
Bevor er sich’s versah, saß er auch schon in Vejleborgs nagelneuem BMW. Wenige Minuten später parkte er den Wagen, und sie betraten ein kleines Restaurant, wo sie bereits erwartet wurden. Ein Kellner begleitete sie an einen Tisch mit Aussicht über den Fjord. Die Speisekarte war exklusiv und teuer. Er wagte es kaum, einen Blick in die Weinkarte zu werfen.
»Und jetzt ein schönes Glas Wein. Das wird uns guttun.«
»Ich muss noch fahren.«
»Quatsch mit Soße. Wir haben es nicht eilig. Der Alkohol ist längst verflogen, wenn du hier wieder wegfährst, das versprech ich dir.«
Der Wein und das Essen kamen, und beides war ausgesucht und köstlich. Allerdings
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