Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Druck steht und den Atem seiner Vorgesetzten im Nacken spürt. Wagner wusste, was kommen würde, noch ehe die Worte überhaupt ausgesprochen waren.
»Wir könnten ein paar positive Meldungen ganz gut gebrauchen. Nach diesen ganzen Geschichten.«
In seinem Blick las Wagner, dass er mit »Geschichten« die Vorfälle meinte, in denen Polizeibeamte ihre Waffe gezogen und |86| abgefeuert hatten. Häufig mit Todesfolge, und das jüngste Opfer war ein psychisch kranker und zudem unbewaffneter Mann gewesen. Das machte keinen guten Eindruck.
Er wusste nicht, was er sagen sollte, deshalb begnügte er sich mit einem Nicken und freute sich insgeheim, dass er nicht Hartvigsens Job hatte. Ihm lag es überhaupt nicht, in die Politik involviert zu sein. Zum Glück musste er sich nicht damit beschäftigen, wie die Polizei in den Augen anderer wahrgenommen wurde. Seine Aufgabe war es lediglich, Fälle zu lösen und Kriminelle dingfest zu machen, den Rest überließ er sehr gerne anderen.
Erneut erhob er sich, nahm das Tablett und ging, während er sich selbst das Wort gab, dass Mette Mortensens Mörder seine gerechte Strafe bekommen würde. Irgendwo lief ein Mensch frei herum, der sie umgebracht und danach ihren Körper geschändet hatte. Gormsen war sich zwar sicher, dass alle Verletzungen postum zugefügt worden waren, was dem Opfer unerträgliche Schmerzen erspart hatte. Aber dennoch war es für ihn kein Unterschied. Genau genommen empfand er das Schänden einer Leiche viel schlimmer. Die Toten sollte man in Frieden lassen, das war seine Ansicht. Man sollte einem Toten mit Respekt begegnen und dessen Körper mit Ehrfurcht behandeln.
Er war schon als Kind früh mit dem Tod in Berührung gekommen, als seine Großeltern mütterlicherseits kurz nacheinander gestorben waren. Beide waren zu Hause gestorben, und die Familie hatte sich in ehrfürchtigem und liebevollem Schweigen am Sterbebett versammelt. Und seine Mutter und seine Tante hatten die Toten danach gewaschen.
So sollte der Tod sein, fand er. Aber da war auch der Tod von seiner Frau Nina, die an Krebs gestorben war, ein Jahr, bevor er Ida Marie kennenlernte. Das war nicht schön gewesen, leider war der Tod seiner Erfahrung nach fast nie schön. Nina war im Krankenhaus gestorben. Wagner wusste, dass sie ihm zuliebe dort geblieben war. Er hätte nicht die Kraft gehabt, sie zu Hause zu pflegen. Trotzdem war der Abschied still und friedlich gewesen. |87| Und fast unerträglich, aber das stellte er erst fest, als ihn die Leere nach der Beerdigung fast verschlungen hatte.
Der Tod sollte friedvoll sein; so wie es sich für das Ende des zweiten Satzes einer Klaviersonate von Beethoven gehörte. Daran musste er denken, als er auf der Suche nach Ivar K den Flur entlanglief, weil er ihn zu Mette Mortensens Arbeitsplatz bei der Hammershøj Wirtschaftsprüfungsgesellschaft begleiten sollte. Die Ironie des Schicksals hatte ihn in einem Beruf landen lassen, wo weder die Toten noch deren Angehörige oder deren Kollegen und Vorgesetzte in Frieden gelassen wurden. Hier war nicht Beethoven am Werk, sondern vielmehr Richard Wagner.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf dem Åboulevarden hatte zwanzig Angestellte, und aus dem siebten Stock des Gebäudes bot sich eine Panoramaaussicht über Stadt und Hafen.
Ivar K hatte ein bisschen Hintergrundwissen über den Geschäftsführer Carsten Kamm zusammentragen wollen, dem die Firma gehörte. Allerdings hatte er nichts Ungewöhnliches finden können, außer der namentlichen Übereinstimmung mit einem in Deutschland ansässigen dänischen Nazi, dem bis zum heutigen Tag der Mord an einem dänischen Journalisten während der Besatzungszeit nicht nachgewiesen werden konnte.
Daraufhin hatte er die Familienbeziehungen überprüft, aber gleich festgestellt, dass die Übereinstimmung zufällig war und Carsten Kamm außerdem ein zusätzliches »m« in seinem Namen führte. Heimlich spürte Wagner eine gewisse Solidarität mit dem Geschäftsführer. Er selbst hatte auch einiges mit seinem Nachnamen durchmachen müssen. Die meisten verbanden den Namen Wagner natürlich mit der Musik, aber es gab Vereinzelte, die wussten, dass Richard Wagner mit dem Nationalsozialismus geflirtet hatte oder vielmehr die Nazis mit ihm und seiner Musik. Er war zwar nachweislich nicht mit dem Deutschen verwandt, aber das hinderte die Leute nicht daran, ungefragt Parallelen zu ziehen.
|88| Aller Solidarität zum Trotz tat er sich dennoch schwer, Carsten Kamm sympathisch
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