Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
wurde der Inhalt von Mettes Schreibtisch denn hingeräumt?«, |93| fragte Ivar K. »Es ist wichtig, dass wir Zugang dazu erhalten.«
Kamm strich sich mit einer Hand über den Schädel. Er warf erneut einen Blick auf seine Uhr und sah danach aus, als habe er eine Entscheidung getroffen.
»Okay. Ich werde das herausbekommen und Ihnen Bescheid geben. Die Sachen liegen sicher irgendwo in einem Karton, wenn die Müllabfuhr nicht schon dagewesen ist. Jetzt stelle ich Ihnen die anderen Kollegen vor …«
Sie wurden in aller Eile den Mitarbeitern vorgestellt und konnten die üblichen Routinefragen stellen. Sie notierten sich alle Namen, Fakten und Alibis und die Angaben, mit welchen Kollegen Mette am engsten zusammengearbeitet hatte. Aber niemand hatte etwas Neues hinzuzufügen.
»Pisser!«, murmelte Ivar K, als sie die Büroräume wieder verließen. »Den sollte man doch glatt am nächsten Baum aufhängen!«
Wagner hätte es vielleicht nicht mit diesen Worten ausgedrückt. Aber er war kurz davor, ihm recht zu geben.
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Kapitel 14
»Sein Sohn?«
Bo zeigte auf eine der Scheiben im Schlafzimmerfenster. »Die hier ist auch zersprungen.«
Dicte kam näher und betrachtete das beschlagene Glas in der Mitte des Fensters.
»Das ruiniert mich. Damit sind es schon neun.«
Sie zeichnete die Scheibe in ein DIN-A4-Blatt ein, auf dem sie die vier sechsscheibigen Fenster des alten Bauernhauses für den Glaser aufgemalt hatte. »Ja, der Sohn. Und was lernen wir daraus? Ein Vater spielt mit seinem Sohn Fußball, und der wird später zum Hooligan und Neonazi. Du musst aufpassen!«
|94| »Wegen Tobias?«
Bo lächelte, als er den Namen seines Sohnes aussprach. Da war was dran an dieser Vater-Sohn-Geschichte, dachte Dicte. Sie vermutete, es war der Stolz darüber, einen Stammhalter produzieren zu können. Mädchen appellierten an den väterlichen Beschützerinstinkt. Söhne an den Stolz. Altmodisch, aber wahr.
»Er verfügt nicht über nennenswerte Gene für Gewaltbereitschaft.«
»Das hat Adolfs Mutter auch gesagt.«
Bo lächelte.
»Vielleicht hatte sie sogar recht. Er hat nur andere dazu angestiftet. Was machst du mit der Info über den Sohn?«
Dicte berechnete den Preis für die neun Glasscheiben. Keine schöne Zahl, und sie musste auf jeden Fall noch die zwei großen Fenster im Wohnzimmer dazunehmen.
»Shit. Über 14 000 Kronen.«
Sie sah Bo an, der sich auf dem Bett ausgestreckt hatte. Auf dem Nachttisch stand sein Weinglas vom Abendbrot, das sie gerade gegessen hatten. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und stellte es neben seins.
»Ich muss ihn finden. Und ich muss mit Wagner reden.«
»Warum das denn? Wegen Kosovo?«
Sie antwortete nicht, sondern legte nur ihren Kopf auf seine Schulter.
»Das ruiniert mich«, wiederholte sie. »Das kostet mich ein Vermögen.«
»Das sagt Dagobert Duck auch immer«, kommentierte er mit Donalds Stimme und kämmte mit den Fingern durch ihr Haar. Und ganz offensichtlich aufgekratzt von dem bloßen Gedanken an seine Freunde aus Entenhausen, holte er sein Lieblings-Donald-Duck-Zitat aus der Schublade. Das ansonsten nur zu besonderen Anlässen eingesetzt wurde: »Weh mir Frevler, dass ich schoss den Schicksalsvogel Albatros! Dreimal wehe, dass ich traf! Dafür trifft mich des Schicksals Straf ’!«
Dicte lächelte. Gerne hätte sie nachgegeben. Sie hätte den |95| Abend auch lieber ausgelassener und mit Comicsprache beendet, aber die Erlebnisse bei Winkler beschwerten sie und drückten auf ihre Stimmung.
»Ich bin der Meinung, dass der Mord an Mette Mortensen politisch motiviert war«, sagte sie und erstickte damit jeden Versuch zum Übermut im Keim. Bos Körper neben ihr wurde hart. Trotzdem fuhr sie fort. »Ich glaube, da stecken Mitglieder der rechtsextremen Szene dahinter. Warum, weiß ich nicht, aber ich muss das herausfinden.«
Ihre gedrückte Stimmung hatte nichts mit dem Mord zu tun. Auch nicht mit der Information, dass sich in Århus besonders viele Neonazis versammelten, die dort offensichtlich gerade eine Art Machtbasis etablierten. Und auch die Geschichten über die diversen Gewalttätigkeiten machten keinen so starken Eindruck auf sie. Noch nicht einmal Frederik Winklers geduldige Erläuterungen der ideologischen Symbole bestürzten sie. Sie erfuhr alles über die Zahl 88, ein Zeichen für den achten Buchstaben im Alphabet und damit eine heimliche Methode, um den Hitlergruß zu verwenden, sie erfuhr einiges über die bevorzugten Markennamen wie Hooligan
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