Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Hunderte von Ordnern, einer neben dem anderen. Im Internet hatte sie Aufnahmen seines Büro gefunden, die nahezu identisch waren mit diesem Anblick: Aktenordner und Videotapes, so weit das Auge reichte.
»Nicht alle begrüßen es, wenn über sie Aufzeichnungen für die Nachwelt angefertigt und aufbewahrt werden.«
Er ließ sich schwer aufs Sofa fallen, über ihm hing eine Kopie des berühmten Plakats mit der Zeichnung eines Schweines und der Aufschrift »Dänische Schweine sind gesund – die strotzen vor Penicillin«. Sie hatte das Bild vor Augen, wie er dort auf dem Sofa bei laufendem Fernseher sein Abendessen einnahm und das Plakat sein Zeuge war.
»Aber gleich töten?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ist alles schon da gewesen. Oder wie interpretieren Sie die Brandbombe, die durch die Glasscheibe meiner Eingangstür geworfen wurde? Ist das kein Mordanschlag?«
Seine Stimme hatte eine unerwartete Schärfe bekommen. Hatte er zuvor die Ausstrahlung eines verschreckten Onkelchens gehabt, war die jetzt wie weggeblasen.
»Was wollen Sie denn von mir wissen?«
Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, es war löslicher. »Ich komme gleich zur Sache: Ich kenne mich in der rechtsextremen Szene in unserer Stadt überhaupt nicht aus. Ich bin auf der Suche nach Hintergrundinformationen. Ich könnte natürlich im Netz recherchieren, aber ich benötige Topaktuelles, das noch gar nicht in die Öffentlichkeit gedrungen ist.«
»Geheimnisse also«, betonte er. »Beziehungsweise Dinge, die niemand wahrhaben will?«
Offensichtlich war er es gewohnt, dass man ihm mit Skepsis begegnete. Dicte beugte sich vor.
|79| »Lassen Sie uns das Ihre Expertise nennen. Ich benötige einen Informanten, der über einen außergewöhnlich guten Einblick in die Materie verfügt. Wenn Sie Repressalien befürchten, lasse ich Sie anonym. Sie können mich auch an jemanden weiterverweisen?«
»Und mein Leben aufs Spiel setzen?«
Er schüttelte langsam den Kopf. Das schien kein Nein zu bedeuten, sondern war vielmehr ein Kommentar zu ihrer Naivität. Dann holte er tief Luft, pustete in seinen Kaffeebecher und warf ihr einen abschätzenden Blick über den Rand zu.
»Das hier ist kein Spiel. Wenn Sie sich in dieser Szene umschauen wollen, müssen Sie darauf gefasst sein, dass es nicht ungefährlich ist. Ich möchte, dass Sie sich darüber im Klaren sind.«
»Das bin ich.«
Er nickte.
»Sie sind an dem Mord an dem Mädchen beim Fußballstadion dran. Und jetzt wollen Sie wissen, ob die Hooligans oder andere Extremisten dahinterstecken könnten?«
Dicte stellte den Becher auf den Tisch, antwortete aber nicht. Frederik Winkler fuhr ohne Aufforderung fort.
»Eins ist sicher: Århus ist dabei, sich zu einer Bastion der rechten Szene zu entwickeln. Im Zuge der Auflösung der Linken wurde hier ein Netzwerk geschaffen. Kopenhagen hat seine Autonomen, darum haben die Linken noch einen Nährboden. Århus hatte nur bis in die Neunziger Linksradikale. Die Rechten haben hier mittlerweile freie Hand und betrachten den Kampf gegen ihren Erzfeind auch als gewonnen.«
»Ich dachte immer, die Ausländer seien der Erzfeind.«
Er schüttelte den Kopf.
»Für die Leute, über die wir gerade sprechen, sind die Linken die weitaus größere Bedrohung. Eine geschlossene Linke kann verhindern, dass nationalsozialistische Ideen Wurzeln schlagen. Außerdem sind sie ein sichtbarer Feind, und das erzeugt ein Gefühl von Zusammengehörigkeit.«
|80| Dicte beschloss, den Wahrheitsgehalt seiner letzten Äußerung zu hinterfragen.
»Und was ist mit den Fußballfans? White Pride?«
Die Katze hatte Anlauf genommen und war ohne Vorwarnung auf Frederik Winklers Schoß gesprungen. Er strich ihr über den Rücken hinauf bis zur Schwanzspitze.
»White Pride hat sich neu formiert. Sie sind nicht mehr so präsent, und viele der Mitglieder sind zur Dansk Front abgewandert, die mittlerweile eine zentrale Rolle im rechten Flügel spielt. Viele ihrer Aktivitäten werden von Århus aus arrangiert und koordiniert.« Die Katze schnurrte geräuschvoll. Für einen Moment war das der einzige Laut im Raum. »Der harte Kern von White Pride ist älter geworden, allerdings mischen sie noch mit und stacheln auch in den Stadien zur Gewalt auf. Das Hauptproblem ist, dass es ihnen gelungen ist, neue Schläger zu rekrutieren, die sogenannten Casuals.«
»Casuals?«
Die Katze nahm erneut Anlauf und landete mit einem etwas misslungenen Sprung auf Dictes Oberschenkel. Sie spürte, wie sich die
Weitere Kostenlose Bücher