Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Krallen durch den Stoff ihrer Hose bohrten. Dabei schnurrte das Tier unablässig.
»Die sind jung, tragen Markenklamotten und sind für die organisierte Gewalt zuständig. Sie unterstützen verschiedene Fußballklubs und verabreden ihre Kampfeinsätze via Ketten-SMS.«
»Und sind die gefährlich?«
Dicte hörte die Skepsis in ihrer Stimme. Jugendliche in Markenklamotten, die aufeinander einprügeln. Ihr erschien der Weg von dort bis zum Mord an jungen Frauen, denen man die Augen ausstach, doch sehr weit.
»Sie sind alle potentiell gefährlich.« Wieder hatte er diese Schärfe in der Stimme, sie hatte etwas Warnendes. »Sie stehen unter großem Gruppenzwang und machen Sachen in dieser Gemeinschaft, die sie allein niemals wagen würden. Unter den richtigen Umständen wären die meiner Meinung nach alle zu einem |81| Mord fähig. Aber einige haben selbstverständlich ein höheres Potential als andere.«
Das Schnurren der Katze übertrug sich auf ihren Körper. Es fühlte sich an, als würden die kleinen Erschütterungen bis in ihre Fingerspitzen gelangen.
»Haben Sie da Details? Wer die sind? Ich meine Namen, Fotos, Aufnahmen oder Tapes?«
Wieder betrachtete er sie eingehend, als würde er das Für und Wider abwägen. Vielleicht war er bereits ein sehr großes Risiko damit eingegangen, sie zu empfangen, überlegte sie. Vielleicht übertrieb er auch maßlos, das war schwer einzuschätzen.
»Die Gruppen filmen sich gegenseitig, wenn sie Gelegenheit dazu haben. Bei den Demos der Linken tauchen die Rechten auf und filmen diskret mit ihren Kameras und vice versa. Die ganze Szene ist, zumindest in den eigenen und den gegnerischen Kreisen, vorbildlich dokumentiert.«
»Und was ist mit Ihnen?«, fragte Dicte. »Machen Sie nach wie vor selbst Aufnahmen?«
Das war die galantere Formulierung, statt ihn geradeheraus zu fragen, ob er auch, mit Bart und Brille verkleidet, bei den verschiedensten Demonstrationen auftauchte und mit versteckter Kamera filmte.
Ohne Vorwarnung erhob er sich plötzlich stöhnend vom Sofa.
»Kommen Sie mal mit.«
Sie folgte ihm durch den Flur. Als er die Tür zu seinem Büro öffnete, erkannte sie den Raum von den Fotos im Internet wieder, allerdings war er wesentlich kleiner, fast klaustrophobisch eng. Jeder freie Platz war von Ordnern, Büchern oder Tapes belegt. Auf seinem Schreibtisch stand ein Computer, der allerdings im Gegensatz zu allem anderen in der Wohnung nagelneu war.
Er setzte sich hin und schaltete den Rechner ein. Kurz darauf öffnete er einen Ordner mit Aufnahmen. Eine Serie zeigte Männer in Kapuzenjacken, die einer Demonstration zusahen. Auf |82| den nächsten Fotos hatte der zentrale Mann in einer hellen Nylonjacke eine Videokamera hervorgeholt und mit dem Filmen begonnen. Ein anderer hielt eine Digitalkamera in den Händen. Dann folgten Bilder, auf denen drei Menschen mit über den Kopf gezogenen Kapuzen die Demonstration wieder verließen. Die letzten Aufnahmen zeigten dieselben Männer, wie sie in einem Hauseingang verschwanden.
»Der Mann mit der Videokamera heißt Martin Brøgger. Er ist gefährlich, weil er schnell im Kopf und am Abzug ist. Er ist der Rädelsführer hinter den Aktionen, wenn antifaschistische Demos angegriffen werden. Gleichzeitig steht er auch an vorderster Front, wenn es um Schlägereien geht.«
Dicte versuchte, sich ein Bild von dem Mann zu machen. Aber obwohl Frederik Winkler ganz nah ranzoomte, konnte sie nicht mehr erkennen als einen großen, kräftigen Mann mit breitem Kiefer.
»Und der da?«
Der Computer näherte sich dem anderen Mann mit der Digitalkamera.
»Hinter dem war die Polizei her, allerdings aus einem ganz anderen Grund. Der hat nämlich letzte Woche seine Geliebte so zusammengeschlagen, dass sie an den Folgen gestorben ist.«
»Woher wissen Sie das alles?«
Sie wollte gar nicht skeptisch klingen. Trotzdem sah Winkler sie irritiert an.
»Theoretisch gesehen darf ich das gar nicht wissen. Also vergessen Sie es wieder.«
»Und wie heißt er?«
»Jan Møller.«
»So heißen viele.«
»Aber die wenigsten haben einen Vater, der Direktor der größten Konservenfabrik der Stadt ist.«
»Der Møller? Erling Møller von Jakta?«
Winkler nickte und zoomte näher an den dritten Mann heran. Er war kräftig und vierschrötig, aber nicht besonders groß. Vermutlich |83| war die besondere Situation dafür verantwortlich zu machen, aber Dicte hätte schwören können, dass unter der Kapuze statt zweier Augen kalte Lampen brannten. Er
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