Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
zu finden. Er war groß und hatte eine gepflegte, aber Angst einflößende Glatze, in der Art, wie sie Türsteher und Bodyguards tragen. Das hatte ihm noch nie besonders gefallen. Sein Scheitel leuchtete bronzen und verriet den Besuch im Solarium, seine Erscheinung war durchtrainiert und gepflegt. Für einen Mann, dessen Geliebte vor kurzem getötet und geschändet worden war, wirkte er auffallend ruhig, um nicht zu sagen beunruhigend gelassen, fand Wagner.
»Lassen Sie uns hier hineingehen.«
Kamm trug einen grauen modernen, schmal geschnittenen Anzug. Auf den ersten Blick wirkte das relativ konservativ, aber Wagner bemerkte, dass der Schlips aus schwarzem Leder war und die Schuhe keine Halbschuhe, sondern Stiefel aus Schlangenleder. Die Assoziationen überfielen ihn schlagartig, und noch bevor sie an dem runden Tisch Platz genommen hatten, waren seine Schlussfolgerungen bereits formuliert: Kamm wirkte selbst wie eine Schlange mit seinen schnellen, gleitenden Bewegungen und einem Blick, der sie zwar ansah, aber gleichzeitig durch sie hindurchging.
Kamm setzte sich ans Ende des Tischs, als hätte er sich selbst zum Wortführer ernannt. Er warf einen Blick auf seine Uhr.
»In einer Viertelstunde habe ich ein wichtiges Meeting. Ich hoffe, wir können das hier schnell erledigen.« Seine Stimme war kurz angebunden und nicht gewohnt, Widerworte zu erhalten.
Ivar K wippte auf dem Designerstuhl hin und her, dass es nur so knackte.
»Es dauert so lange, wie es dauert.«
Kamm räusperte sich.
»Natürlich. Und was da passiert ist, ist wirklich tragisch. Aber wir sind hier ja bei der Arbeit.«
Wagner tat der Mann fast ein bisschen leid, als er sah, wie sich Ivar Ks Lippen zu einem Lächeln verzogen. Der Störenfried der Klasse nahm sich alle Zeit der Welt. In aller Ruhe betrachtete er seine Nägel, die anders als jene von Kamm noch eine extra Runde |89| mit der Nagelbürste vertragen hätten. Ivar K hatte sich erst kürzlich einen Kindheitstraum erfüllt und sich ein Motorrad gekauft, an dem er jede freie Minute in seiner Garage schraubte.
»Das ist lustig, dass Sie das gerade erwähnen«, sagte er mit einer Stimme, die einen an Nitroglyzerin denken ließ. »Wir sind hier nämlich auch bei der Arbeit.«
»Ja, selbstverständlich, aber …«
Kamm war eindeutig kein großer Psychologe, denn sonst hätte er bemerkt, dass da eine potentielle Zeitbombe vor ihm saß. Wagner überlegte, ob er Ivar K eine Hand auf den Arm legen sollte. Dieser zuckte auch kurz, so als müsste Ivar K seinen Arm unter großer Anstrengung daran hindern, Kamm am Schlips quer über den Tisch zu ziehen.
»Jetzt hören Sie gut zu«, zischte er durch die Zähne. »Ihre Geliebte liegt mit ausgestochenen Augen in einem Kühlfach des Rechtsmedizinischen Instituts. Meinen Sie nicht, Sie könnten eventuell einige Minuten Ihrer wertvollen Zeit für ein paar kurze, unschuldige Fragen entbehren? Zum Beispiel, wo Sie den gesamten Sonntag verbracht haben? Denn Sie waren doch nicht zufällig im Fußballstadion?«
Ivar Ks Stimme war eiskalt. Wagner registrierte die Angst in Kamms Blick und räusperte sich.
»Lassen Sie uns das ganz ruhig von vorne angehen«, sagte er. »Wir untersuchen einen Mord und benötigen jede Hilfe, die wir bekommen können. Vielleicht könnten Sie uns zunächst ein bisschen was von Mette erzählen.«
Kamms Lippen wurden schmal.
»Vielleicht sollte ich lieber meinen Anwalt anrufen«, murmelte er.
»Ich bin mir ganz sicher, dass das nicht notwendig ist«, beschwichtigte Wagner ihn, während Ivar K weiter an seinen Fingern pulte. »Sie haben doch nichts falsch gemacht, zumindest gehen wir davon aus.«
Kamm schloss die Augen, als könnte er den Anblick von ihnen nicht ertragen. So war es wahrscheinlich auch, vermutete |90| Wagner. Er hätte es wohl niemals zugegeben, aber manchmal war Ivar Ks ungestümes Temperament von großem Nutzen, um das Gegenüber zum Entgegenkommen zu überreden.
»Was soll ich sagen? Mette war ein süßes, fleißiges Mädchen. Von Anfang an konnte man sehen, dass sie ein großes Talent für Zahlen hatte.«
»Offenbar nicht nur für Zahlen«, warf Ivar K ein. »Seit wann war sie Ihre Geliebte?«
»Geliebte!«
Das Wort wurde mehr geschnaubt denn gesprochen. »Wer sagt denn so etwas? Das ist eine glatte Lüge!«
Ivar K pfiff eine kleine Melodie.
»Ich weiß nicht, wie genau Sie über den Ablauf einer Morduntersuchung informiert sind«, sagte er. »Aber dazu gehört unter anderem ein DNA-Test. Wir besorgen
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