Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
diesem Tag zum ersten Mal begegnet. Janos Kempinski spürte, wie sich Boutrups Blick in sein Innerstes bohrte, und war erstaunt, wie leicht dieser Mann seine Aufmerksamkeit erregen konnte. Das machte ihn nervös, gleichzeitig aber löste es auch ein bizarres Gefühl von Erregung in ihm aus, als ob er in einem Thriller mitspielte. Das Ganze wirkte wie inszeniert: zum einen die Beamten, die den gefährlichen Mörder bewachen mussten; der Patient selbst, der sein eigenes Leben wie eine Partie Schach betrachtete. Und dann er, der Arzt, der mehr und mehr von einer unheilbringenden Flamme angezogen wurde.
»Aber beide Optionen sind doch nicht aktuell, richtig? Oder haben Sie eigentlich schlechte Nachrichten für mich?«
Das hatte er tatsächlich, bemühte sich aber, sie in einer schönen Verpackung zu präsentieren.
»Wir haben die Durchblutung Ihrer Gefäße in den Beinen untersucht. Es ist nämlich so, dass eine neue Niere erst einmal viel Blut benötigt, und dafür müssen die Gefäße in einem guten Zustand sein. In Ihrem Fall sind wir der Meinung, dass sich eine OP durchführen ließe.«
Boutrup durchschaute die Botschaft sofort.
»Aber mit einem größeren Risiko, sagen Sie ruhig die Wahrheit. Das liegt bestimmt an den vielen Zigaretten.« Er zuckte |133| mit den Schultern. »Auf der Schattenseite des Lebens gibt es nicht so viele Dinge, die man unternehmen kann, außer auf Teufel komm raus zu qualmen und zu hoffen, dass man eines Tages umkippt und einen Ausflug ins Krankenhaus mit Vollpension bezahlt bekommt.«
»Es ist richtig, dass die Verkalkung der Gefäße in einem größeren Umfang vorliegt, als wir erwartet haben«, gab Kempinski zu. »Aber wir werden trotzdem eine Transplantation vornehmen.«
Forschend betrachtete er Boutrups Gesicht, bereit, jede noch so kleine Regung wahrzunehmen. Vielleicht war es ja diese Geheimniskrämerei, die ihn so faszinierte. Dass Der Besondere Patient darauf beharrte, keine Familie zu haben, die er um eine neue Niere bitten konnte.
»Wir haben schon einmal darüber gesprochen. Weitaus besser wäre die Lebendspende eines Familienmitglieds.«
»Vergessen Sie es, Doktor Tod.«
Der Mann schüttelte den Kopf und schenkte ihm erneut ein nicht gerade freundliches Lächeln. »Das kommt nicht in Frage.«
Kempinski ließ nicht locker.
»Die meisten sind der Ansicht, dass ältere Nieren nicht verwendbar sind, aber das trifft nicht zu. Wenn die Person ansonsten gesund und wohlauf ist, dann … Ich denke da an Ihre Eltern.«
Als Boutrup nicht reagierte, hörte er sich selbst sagen: »Blut ist am Ende doch immer dicker als Wasser.«
Das schallende Gelächter kam tief aus Boutrups Inneren. Er war kurz davor, vor Lachen in Tränen auszubrechen. »Alles klar, Herr Doktor Tod. Ha, Blut und Wasser, ja. Genauso ist es.«
Er beugte sich vor und brachte sein Gesicht so nah an Kempinskis, dass der seinen Atem riechen konnte. »Haben sie es noch immer nicht kapiert? Sie haben noch immer keinen Funken von einer Ahnung?«
Kempinski kränkte dieser Ausbruch mehr, als er zugeben wollte.
»Ich habe keine Lust zu raten. Ich beschäftige mich lieber mit Fakten.«
|134| »Na gut. Dann erhalten Sie jetzt eine Portion Fakten.«
Boutrup holte tief Luft und machte eine kleine Kunstpause. Kempinski hatte das Gefühl, dass Der Besondere Patient diese Situation genoss.
»Ich bin adoptiert. Ich habe keine fucking Familie«, sagte Peter Boutrup mit einem Lächeln, als hätte er soeben vorgetragen, dass es Eintopf und Zwiebelsuppe zum Mittagessen gab.
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Kapitel 20
»Hast du schon mal an einen Serienmörder gedacht?«
Die Frage kam nicht völlig unerwartet. Trotzdem spürte sie den Drang, sie mit etwas Stärkerem hinunterzuspülen als mit dem Glas Weißwein, das sie in der Hand hielt.
»Das spukt schon in meinem Kopf herum«, sagte sie schließlich. »Aber ich hatte die Hoffnung, du würdest sie zurückweisen.«
Dicte sah ihren Ex-Mann über den Rand ihres Weinglases an. Torsten war in erster Linie Roses Vater, und in dieser Funktion kam es durchaus vor, dass sie sich trafen, um über ihre gemeinsame Tochter zu reden. Allerdings war Rose nach Kopenhagen gezogen und zudem aus dem Alter, in dem die getrennt lebenden Elternteile noch ein großes Tamtam ohne ihre Anwesenheit veranstalten mussten. Also lag es auf der Hand, dass Torsten einen anderen Beweggrund gehabt hatte, sie einfach so anzurufen und ein Treffen vorzuschlagen.
»Ich neige nach wie vor zu der Ansicht, dass die Morde einen
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