Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
anderen Zweck hatten, als das Bedürfnis irgendeines Geisteskranken zu befriedigen«, sagte sie.
Er hatte ihre Artikel gelesen, das tat er immer. Seine berufliche Qualifikation als Kriminologe gab ihm ein Alibi, neugierig zu sein. Aber Torsten hatte offensichtlich auch ein persönliches Anliegen. Er saß ihr nicht nur gegenüber, um seine Hilfe und Inspiration anzubieten. Er verfolgte seine ganz eigene Profilierungsstrategie: |135| Er gehörte zu der Gruppe von Kriminalexperten, die ab und zu im Fernsehen oder in den Zeitungen auftauchten, um eine professionelle Einschätzung zu liefern. Sie wusste, wie sehr es ihn irritierte, dass er bisher noch nicht gefragt wurde und dass es Einzelheiten über den Stadion-Fall gab, die augenscheinlich noch nicht weitergegeben worden waren.
»Wer hat denn hier von Geisteskranken gesprochen?«, fragte er.
Sie stellte das Glas ab.
»Come on. Wenn jemand drei Personen tötet, ihnen die Augen aussticht und deren Knochen durch PVC-Rohre ersetzt und wir einen Mafiahintergrund ausschließen können, dann muss da doch verdammt noch mal ein Geisteskranker dahinterstecken!«
Sie hatte sofort die Entscheidung getroffen, mit offenen Karten zu spielen. Diesbezüglich konnte sie sich auf ihn verlassen. Torsten Svendsen, der große Frauenverführer, der weder seine Blicke noch seine Finger von anderen Frauen lassen konnte, war beruflich extrem zuverlässig. Sie hätte das ihm gegenüber zwar niemals zugegeben, aber sie hatte großen Respekt vor seiner Fähigkeit als Profiler, Einsicht in die Gedankenstrukturen der Täter zu erlangen.
Er schüttelte den Kopf. Sie registrierte, dass in seinen schwarzen Locken graue Strähnen zu sehen waren und dass er ziemlich müde aussah. So war es wohl, wenn man sich von seiner viel jüngeren Frau noch einmal zum Vater machen ließ, nach Überschreitung der Fünfzigergrenze, dachte sie und gestand sich ein klein bisschen Schadenfreude zu. Das war wohl das Mindeste, wenn man bedachte, wie oft er sie zugunsten einer langbeinigen Schönheit betrogen hatte.
»Die wenigsten Serienmörder sind nachweislich geisteskrank«, sagte er, was sie schon wusste. »Die meisten sind im Gegenteil hochintelligente Menschen, die einfach einer anderen Logik folgen und die Welt nur mit ihren Augen sehen.«
Sie saßen im Café Castenskiold unten am Fluss und aßen Tapas. Zum Wein hatte er sie überredet, obwohl das nicht so schwierig |136| gewesen war, wie sie es vorgegeben hatte. Ab und zu benötigte man einfach ein bisschen Brennmaterial, um Besseres vorlegen zu können als 08/15-Gedanken.
»Aber zwei Frauen und ein Mann?«, warf sie ein. »Wo ist da die Logik? Dazu kommt noch die geographische Verteilung.« Verstohlen beobachtete Dicte ein Liebespaar auf einem roten Sofa und spürte Neid in sich aufsteigen. So war das früher, auch mit Torsten damals. Die große Euphorie. Das war lange her, fast fünfundzwanzig Jahre hatte sie ausgerechnet. »Das passt doch nicht zu einem Serienmörder. Haben die nicht immer einen relativ begrenzten Radius, innerhalb dessen sie sich bewegen? Ihre Heimatstadt, oder der Stadtteil, in dem sie wohnen?« Sie hörte die Hoffnung in ihrer eigenen Stimme. Sie hasste den Gedanken, dass es sich um einen Serienmord handelte. Vielleicht weil sie selbst einmal mit einem Mörder zu tun gehabt hatte, der blind für alles gewesen war, was sich außerhalb seines eigenen Systems und seines inneren Dranges, zu töten, befunden hatte.
Torsten schnitt sich ein Stück Parmaschinken ab, schob es sich zusammen mit einer Olive in den Mund und kaute genüsslich darauf herum. Dann legte er den Kern auf den Rand seines Tellers.
»Du hast also eine Person, die Trophäen in Form von Augen und Knochen mitnimmt. Du hast in vielerlei Hinsicht einen sehr gut organisierten Mörder. Es existiert eine offenkundige Übereinstimmung der Fundorte, der Tötungsmethode und womöglich auch der Signatur des Mörders, darüber wissen wir zu wenig.«
»Aber warum? Warum wurden gerade diese Opfer ausgewählt? Passt das nicht besser zu politisch Aktiven?«
Sie wünschte sich so sehr, dass die Morde politisch motiviert waren. Es wäre, wenn auch auf eine verquere Weise, einfacher zu begreifen. Wenn man überhaupt davon sprechen konnte, einen Mörder verstehen zu wollen, der seine Opfer so entstellte.
Torsten durchschaute sie sofort.
»Du siehst wahrscheinlich nur das, was du sehen willst. Weil |137| das leichter auszuhalten ist. Wir können den Gedanken nicht ertragen, dass der
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