Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman

Titel: Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsebeth Egholm
Vom Netzwerk:
Mord aus einer inneren Notwendigkeit des Täters begangen wurde. Es macht uns Angst, dass Menschen ein so großes Bedürfnis haben könnten, die Lämmer zum Schweigen zu bringen, dass sie dafür töten würden.«
    »Die Lämmer zum Schweigen bringen? Was für Lämmer?« Er lehnte sich zurück und betrachtete sie eingehend. Es bereitete ihr Unbehagen.
    »Der Film: Das Schweigen der Lämmer«, sagte er. »FBI-Agentin Clarice Starling, gespielt von Jodie Foster. Hannibal The Cannibal, gespielt von diesem britischen Schauspieler, wie hieß er gleich noch?«
    »Anthony Hopkins.«
    »Genau. Sie soll ihn im Auftrag des FBI befragen, um einen tieferen Einblick in die Psyche eines Serienmörders zu erhalten. Er selbst ist einer und versteht deren Art zu denken. Aber er versteht sich auch darauf, in ihrer Seele zu bohren und ihren wunden Punkt zu finden. Der erklärt, warum sie so ehrgeizig in diesem Job ist, bei dem es immer um Mord und Tod geht.«
    Dicte rutschte unruhig auf dem Sitz herum und bemerkte, dass der Stuhl an ihren Beinen klebte.
    »Clarice erinnert sich an ihre Kindheit, als der Onkel auf seinem Hof Lämmer schlachtete und sie in ihrem Zimmer ihre Todesschreie hören konnte. Sie lief hinunter zu dem Blutbad und griff eins der Lämmer, in der Hoffnung, wenigstens eines von ihnen retten zu können. Dann rannte sie davon.«
    Es war zum Wegrennen, wie gut er sie kannte, manchmal leider zu gut.
    »Wir alle haben solche Lämmer, die wir gerne zum Schweigen bringen wollen. Wir könnten es auch so formulieren: Der Serienmörder wird im Gegensatz zu uns aktiv.«
    Er nahm einen Schluck Wein.
    »Und wir weichen erschrocken zurück, weil wir tief in uns etwas Ähnliches haben. Natürlich auf einer weniger aggressiven Ebene. Wir beide würden nie auf den Gedanken kommen, einen |138| anderen Menschen zu töten und ihm die Augen auszustechen. Aber er ist da, in uns, so wie er auch in Clarice war und sie deshalb so verwundbar machte: der Drang, die Lämmer zum Schweigen zu bringen.«
    Sie starrte ihn an, ohne es eigentlich zu wollen. Seine Worte klingelten in ihren Ohren und warfen ein Echo. Sie konnte das Blutbad vor sich sehen. Wie oft hatte sie die Schreie in ihrem Kopf gehört? Nicht die der Lämmer, sondern die der Menschen beim Jüngsten Gericht. Am letzten Tag der Welt, wenn die Schafe von den Böcken getrennt wurden und die Wertlosen in einem Blutbad sterben mussten.
    Sie stieß den Stuhl nach hinten und sprang auf.
    »Ich muss mal eben auf Toilette.«
    Das war so unerwartet gekommen. Sie wackelte die Treppe hinunter und musste sich mehrere Minuten lang Wasser ins Gesicht spritzen. Ob er wusste, wie nah er dran war? Natürlich tat er das. War das nicht schon immer sein Spezialgebiet gewesen?
    Die Lämmer zum Schweigen zu bringen. Verbrachte sie ihr Leben damit? Hatte sie nicht auch etwas gerettet, aber nicht etwa ein einzelnes Lamm, sondern sich selbst. Gerettet vor dem Blutbad, und war abgehauen? Wurde sie auch heute noch gesteuert von der Bedrohung eines bevorstehenden Blutbades, dem Jüngsten Gericht aus ihrer Kindheit?
    Sie sah sich im Spiegel an. Die Augen, die sie anblickten, gehörten nicht ihr, sondern einer fremden Frau, einer fremden Angst und einer Vergangenheit, die wie ein reißender Fluss aus Tränen unter der Oberfläche schlummerte. Sie trocknete sich das Gesicht mit einem Tuch ab. Eine Frau kam aus einer der Kabinen und stellte sich vor den Spiegel, um die Lippen nachzuziehen. Sie sah Dicte im Spiegel an, und einem Ausdruck des Wiedererkennens folgte ein Ausdruck der Abneigung.
    »Das muss schon ein komischer Job sein, über das Unglück anderer zu schreiben und davon zu leben«, sagte die Frau unvermittelt, klappte ihr Make-up-Täschchen zu und schmatzte |139| mit den Lippen, um den neuen Lippenstift zu verteilen. »Aber Sie werden vermutlich sehr gut dafür bezahlt.«
    Sie wusste nicht, woher die Kraft kam. Der Schmerz war verschwunden, als wäre er mit dem Wasser durch den Abfluss gespült worden. Sie drehte sich auf dem Absatz zu der Frau um, die jetzt, da der Spiegel sie nicht mehr voneinander trennte, nicht mehr ganz so mutig wirkte.
    »Meine Artikel haben eine Existenzberechtigung, weil es Leser für sie gibt«, sagte sie und ließ ihren Blick von den Schuhen der Frau bis hoch zu ihren Augen wandern, die bereits begonnen hatten, unruhig zu flackern. »Und Sie haben das soeben bestätigt.«
    Sie gab der Frau genügend Zeit, dieser Behauptung zu widersprechen, aber die stand wie angenagelt auf dem

Weitere Kostenlose Bücher