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Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman

Titel: Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsebeth Egholm
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Streich spielte.
    Anne war gerade dabei, die Schichtübergabe an ihre Kollegin zu beenden. Dicte konnte das am Tonfall der Stimmen erkennen, obwohl sie nicht wusste, worüber die beiden sprachen.
    »Hallo. Hast du Zeit für einen Kaffee?«
    Flüchtig hob Anne den Kopf und sah zu ihr, nickte kurz und führte das Gespräch mit der Kollegin minutenlang fort. Es schien, als würde sie sich mit neugewonnener Energie in die Unterhaltung stürzen und riss immer wieder neue Themen an. Darum setzte sich Dicte auf einen Stuhl und wartete.
    Endlich, nach weiteren fünf Minuten Geplauder über, wie sie |150| fand, Belanglosigkeiten wandte sich Anne ihr zu und sah dabei gleichzeitig auf die Uhr.
    »Ich werd nicht mehr, so spät ist es schon? Ich habe Jakob versprochen, ihn von der Schule abzuholen. Komm, zehn Minuten für einen Kaffee habe ich noch.«
    Die Umarmung war kurz und eilig. Sie hatten keine Zeit, in die Kantine zu gehen, darum begnügten sie sich mit dem Kaffeeautomaten, der sich tief im Labyrinth der weißen Gänge befand.
    »Na, wie geht es dir? Kommst du mit der Sache am Stadion weiter?«
    Anne pustete in ihren Kaffeebecher aus Plastik. Dicte suchte nach dem richtigen Tonfall. Sie spürte eine ihr unbekannte Unsicherheit, verdrängte diese jedoch wieder.
    »Hast du es in der Presse verfolgt?«
    Anne schüttelte den Kopf.
    »Ich hatte hier so viel zu tun. Wir sind erbärmlich unterbesetzt im Moment; viele sind im Urlaub, und einige haben sich wegen Stress krankgemeldet. Aber die Kinder müssen ja verflixt noch mal raus!«
    Dicte nickte. Sie wusste, dass die Station eher eine Fabrik war. Man konnte die romantischsten Vorstellungen von der Geburt haben, aber eigentlich wurden die Kinder hier wie am Fließband herausgepresst, und irgendjemand musste dann am Ende des Fließbandes stehen und sie in Empfang nehmen.
    »Hast du mitbekommen, sie haben das schon veröffentlicht, dass es noch zwei identische Morde gab? In Polen und im Kosovo?«
    Anne nickte unmerklich.
    »Ja, doch, da hab ich was gelesen, und wir sprechen auf Station ja auch darüber. Du weißt, wir lieben es, bei Kaffee und Kuchen zu tratschen.«
    »Wenn ihr Zeit dafür habt«, ergänzte Dicte mit einem Lächeln.
    Anne nickte.
    »Und das ist nicht so häufig der Fall.«
    »Ich war heute mit Torsten Mittag essen.«
    |151| Anne horchte auf.
    »Aha?«
    »Er meint, es könnte sich um einen Serienmörder handeln. In solchen Menschen, so sagt er, müssten die Lämmer zum Schweigen gebracht werden.«
    In kurzen Sätzen erklärte sie den Zusammenhang. Anne folgte ihren Ausführungen einerseits hellwach, andererseits wirkte sie geistesabwesend. Dicte berichtete auch von Torstens Kommentar über sie und ihre Lämmer, deren Schreie sie wahrscheinlich die ganze Zeit unterdrückt hatte, und von der pöbelnden Frau auf der Toilette.
    Anne sah ihr in die Augen, und Dicte hätte schwören können, dass sie genervt war.
    »Was willst du eigentlich von mir?«
    Dicte nahm einen Schluck von dem Kaffee, der bitter schmeckte.
    »Deine ehrliche Einschätzung, vermute ich.«
    »Wovon? Ob man von einem Serienmörder ausgehen kann? Torsten ist doch der Experte hier, vielleicht solltest du eher ihm zuhören. Und mit so einer grenzdebilen Tussi auf dem Klo kommst du selbst klar. Möchtest du, dass ich deine eigenen, inneren Lämmer kommentiere?«
    Anne heftete ihren Blick auf Dicte. Die suchte nach Worten.
    »Vielleicht, ja.«
    »Ja, aber meine Antwort kennst du doch schon«, sagte Anne und betrachtete sie mit vertrauter, liebevoller Sanftmut. »Du weißt doch, dass es stimmt. Du rennst und rennst, um deiner Vergangenheit zu entfliehen. Um den Fehlern zu entkommen, die nicht alle von dir verschuldet wurden; um vor den Entscheidungen zu flüchten, die du selbst getroffen hast und mit deren Konsequenzen du leben musst.« Anne zog die Schultern hoch und sagte mit ungewohnter Verbitterung: »Müssen wir das nicht alle?«
     
    Die Welt veränderte sich unablässig. Das taten Freundschaften |152| wahrscheinlich auch, manchmal ganz unbemerkt, während man unachtsam war.
    Sie verließ die Entbindungsstation zusammen mit Anne und begleitete sie zum Parkplatz, wo ihr Auto stand. Die Worte steckten fest, Dicte durchforstete ihr Gehirn, ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt etwas Verkehrtes gesagt hatte, was Anne hätte wütend oder enttäuscht werden lassen können. Es war nicht undenkbar, dass ihr irgendein Quatsch oder beleidigender Nonsens rausgerutscht war. Aber genau das machte doch ihre

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