Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Sie strahlte englischen Landadel aus, mit ihrem wettergegerbten Gesicht, das früher einmal bildschön gewesen sein musste, aber nicht besonders gepflegt, sondern dem Wind und Wetter ausgesetzt worden war. Jetzt besaß es eine andere Art von Schönheit. Graues, dickes Haar flatterte im Wind, und in ihren intelligenten Augen spiegelte sich der Himmel wider, der im Moment blau war mit dunklen Wolken.
»Sie müssen die Journalistin sein. Kommen Sie doch rein, ich habe gerade Kaffee gemacht. Haben Sie Hunde?«
Dicte warf die Autotür zu und ließ die Hunde schnuppern. Sie nickte.
»Hündin?«, fragte Marie Andersen.
»Ja, und kurz vor der Läufigkeit.«
Sie sahen sich an und verstanden sich, ohne weitere Worte wechseln zu müssen. Dann betraten sie das Haus, dicht gefolgt von den Hunden. Dort begrüßte sie ein Mann in einem braunen Cardigan und mit wachsamem Blick hinter den Brillengläsern. Er roch nach Rauch und rief in Dicte das Bild eines pensionierten Lehrers wach.
»Das ist mein Mann Jørgen«, stellte ihn Marie vor, und sie gaben sich die Hand. Sie setzten sich ins Wohnzimmer, in dem es wie im Original einer sogenannten guten Stube aussah. In der Ecke stand eine Bornholmer Standuhr, und auf dem Couchtisch lag ein geklöppeltes Deckchen. Da räusperte sich die Hausherrin.
|163| »Ich hoffe, Sie verstehen, dass wir nicht daran interessiert sind, unsere Namen in der Zeitung stehen zu sehen. Wir sind gesetzestreue Bürger, aber in diesem Fall waren wir der Ansicht, dass unser privates Anliegen über dem Gesetz steht.«
Dicte nickte. Marie Andersens Vater hatte sich vor seinem Ableben gewünscht, dass seine Asche im Garten seines Elternhauses verstreut werden sollte. Das Paar hatte also seine Asche in dem Garten verstreut, ohne jedoch die notwendige Erlaubnis dafür zu haben.
»Sie haben mir geschrieben, dass Sie etwas in der Asche gefunden haben?«
Die Frau nickte, erhob sich und verschwand im Nachbarzimmer. Kurz darauf kehrte sie mit einem karierten Taschentuch in der Hand zurück, das zu einem kleinen Bündel zusammengeknotet war. Sie legte es auf den Tisch, öffnete es und zeigte ihr zwei kleine deformierte Kugeln.
Dicte beugte sich vor. Die Gastgeberin drehte und wendete sie auf der Unterlage hin und her.
»Was ist das?«
Der Mann streckte sich nach einer Pfeife, die hinter ihm im Regal auf einem Stativ gelegen hatte. Auch das Päckchen Tabak daneben nahm er an sich und begann dann mit bedachten Bewegungen die Pfeife zu stopfen. Seine Stimme klang verärgert.
»Das wüssten wir auch gern. Die beiden Kugeln fielen direkt auf eine der roten Ingrid-Bergman-Rosen und hätten ihr fast den Kopf abgerissen.«
»Auf jeden Fall gehört so etwas nicht in eine Urne«, fügte seine Frau hinzu, hob das Taschentuch auf und streckte es Dicte mit einem Kopfnicken hin, dass sie sich den Fund gerne genauer ansehen könnte.
»Es ist doch grotesk, dass man solche Klumpen in der Asche findet.«
Dicte hob eine der Kugeln hoch. Sie war glatt, und auf ihrer Oberfläche flossen die Farben weiß und blau ineinander. Sie versuchte, das Material zuzuordnen.
|164| »Das kann unmöglich Kunststoff sein, aber sie sind auch nicht aus Metall.«
»Glas«, sagte der Mann. »Es fühlt sich an wie Glas oder Porzellan.«
»Wie um alles in der Welt sind die in der Urne Ihres Vaters gelandet?«
Sie sah Marie Andersen an. »Haben Sie im Krematorium nachgefragt?«
Marie Andersen schüttelte den Kopf, legte das Taschentuch zurück auf den Tisch. Dicte hielt noch immer die eine Kugel in der Hand.
»Wir wollten da nicht so viel Staub aufwirbeln, weil wir die Erlaubnis nicht hatten. Mein Vater soll in Frieden ruhen können, ohne dass wir genötigt werden, seine Asche wieder zusammenzukratzen und sie in einem Urnengrab beizusetzen. Das wäre so würdelos.«
Dicte verstand die beiden. Allerdings bezweifelte sie, ob die Behörde tatsächlich so engstirnig sein würde.
»Und Sie sind sich ganz sicher, dass die Kugeln nicht zur Urne gehören?«
Jørgen Andersen hüstelte, während seine Frau sorgfältig das Tuch wieder zuknotete.
»Wir würden gerne Klarheit über diese Angelegenheit haben«, sagte Marie Andersen. Sie schien sehr bemüht, ihre Erregung zu beherrschen. »Wir hatten gedacht, dass Sie eventuell diese Kugeln mitnehmen und eine Geschichte darüber schreiben könnten, was einem so alles zustoßen kann. So etwas dürfte nicht passieren. Denn wie können wir eigentlich mit Sicherheit wissen, dass wir tatsächlich die Asche
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