Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
meines Vaters bekommen haben? Das bekümmert uns eigentlich am meisten von allem.«
Jørgen Andersen ergänzte:
»Stellen Sie sich vor, ein Hinterbliebener hat die Asche seines verstorbenen Familienmitglieds im guten Glauben verstreut oder beigesetzt. Das wäre doch ein Skandal, wenn stattdessen die Asche von Maries Vater in diesem Urnengrab wäre.«
|165| Aber er war noch nicht fertig.
»Das ist nämlich nicht irrelevant, auch wenn wir tot sind. Vielleicht gerade weil es um Verstorbene geht, die nicht mehr für sich sprechen können. Es sagt viel über uns aus, wie wir die irdischen Überreste behandeln, wenn jemand stirbt.«
Als sie in die Redaktion zurückkehrte, hatte sie einen kleinen Begleiter dabei. In ihrer Tasche lag eine Plastiktüte mit dem Taschentuch und den zwei Kugeln. Sie hatte dem Ehepaar versprochen, der Sache auf den Grund zu gehen, und hatte gerade die Hand auf den Hörer gelegt, um beim Krematorium anzurufen, als das Telefon klingelte.
»Dicte Svendsen.«
»Ich hatte meinen Namen hinterlassen, aber Sie haben nicht zurückgerufen«, sagte eine Stimme, so dünn wie ein Strich in der Luft. »Ich heiße Peter Boutrup.«
Sie erinnerte sich an den Zettel, den ihr Bo gegeben hatte.
»Ich hätte bestimmt noch zurückgerufen. Worum geht es denn? Was kann ich für Sie tun?«
Sein Lachen war wesentlich ausdrucksstärker als seine Stimme.
»Lassen Sie es mich so formulieren. Ich glaube, wir beide könnten ein Tauschgeschäft machen.«
»Und was sollte das für ein Tauschgeschäft sein?«
Einen Moment war es still in der Leitung. Sie hörte, wie der Mann angestrengt und mühsam Luft holte. Er konnte jung, aber genauso gut auch ein alter Mann sein, sie war nicht in der Lage, das einzuschätzen. Aber die Unruhe wuchs zusehends in ihr.
»Sie möchten doch das Rätsel der Stadion-Leiche lösen«, sagte die Stimme.
»Ja, und?«
»Ich glaube, ich kann Ihnen da behilflich sein. Oder anders gesagt: Ich weiß, dass ich das kann.«
»Und was wollen Sie bitte sehr zum Tausch für die Informationen haben?«
Sie musste unwillkürlich an die Lämmer und das Blutbad denken, |166| wusste aber nicht, warum ausgerechnet in diesem Augenblick.
Die Stimme meldete sich erneut, wieder so dünn und kraftlos wie am Anfang, aber sie hatte deswegen nicht weniger Wirkung.
»Darüber sprechen wir dann, wenn wir uns sehen.«
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Kapitel 25
»Ich habe mit Vohnsen gesprochen. Er meint, es gäbe ausreichend Material für eine Schadensersatzklage.«
Er war schon einmal mit süßeren Worten geweckt worden, aber man musste nehmen, was man bekam, darum strich er ihr übers Haar und ließ sie erzählen.
»Mhm«, brummte Wagner, um zu signalisieren, dass er jetzt an dem Gespräch teilnahm.
Ida Marie fuhr fort, während sie sich enger an ihn schmiegte.
»Ich muss die Krankenakte aus den USA mit allen Angaben und den Namen der zuständigen Ärzte, die an der Operation beteiligt gewesen waren, zu fassen bekommen. Vohnsen meint, ich müsse unter Umständen einen amerikanischen Anwalt einschalten.«
Er fand, dass er sich nicht zu einem noch intensiveren Körperkontakt brummen konnte, ohne in Misskredit zu geraten, darum sagte er:
»Es wird bestimmt schwer, etwas ohne Obduktion beweisen zu können.«
Sie seufzte in seine Halskuhle.
»Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie Mama aufschneiden. Das weißt du doch. Nicht jetzt sofort. Aber sie haben ja Blutproben genommen. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie sich die Infektion in den USA zugezogen hat.«
|167| Trotzdem würde er es sich wünschen, wenn sie die Sache ruhen lassen könnte.
»Das alles bringt sie nicht zurück«, sagte er und strich ihr übers Haar und den Rücken hinunter.
Am liebsten hätte er auch gesagt, dass ihre Bemühungen das schlechte Mutter-Tochter-Verhältnis nicht ungeschehen machen konnten. Es war bizarr, aber der Abschied schien so viel schwerer zu sein. Offenbar war es einfacher, sich von einem Menschen zu verabschieden, mit dem man ein unkompliziertes Verhältnis gehabt hatte. Ida Marie und ihre Mutter hatten oft aneinander vorbeigeredet und waren so oft heftig aneinandergeraten, dass er aufgehört hatte zu zählen. Und trotzdem war sie von einer Trauer erfasst worden, die so tief war, dass sie ihr nichts entgegensetzen konnte.
Sie fing an zu weinen. Man benötigte ein Herz aus Stein, um weinenden Frauen widerstehen zu können, vor allem wenn sie aussahen wie eine Madonnenfigur aus längst vergangenen Zeiten. Er musste
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