Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Spürhund.
Während die unterschiedlichsten Gefühle in ihrem Kopf herumschwirrten, redete sie sich gut zu, dass es hier vor allem um einen Fall ging. Es ging um Mette Mortensen, ihren grausamen Tod und all das, was sich dahinter noch verbarg. Anders konnte sie damit nicht umgehen. Als Bilder von ihrer Schwangerschaft und der Geburt in ihrer Erinnerung auftauchten und ihr sogar physische Schmerzen verursachten, schob sie diese mit Gewalt beiseite. Alles schön unter den Teppich kehren, wo es hingehörte. Aber Fetzen der verbotenen Gedanken schauten unter den Fransen hervor.
Peter. Er hieß Peter, hatte blondes Haar und blaugrüne Augen und sah ihr viel zu ähnlich. Was war in seinem Leben alles noch geschehen, das ihn so zynisch hatte werden lassen?
Genug damit! Sie trat fester auf und wusste, dass sie sich vor sich selbst schützen musste. Peter Boutrup war ein erwachsener Mann und hatte die Regeln für ihre Begegnungen diktiert. Ein Tauschgeschäft. Sie würde sich darauf einlassen, es ausschließlich als ein Geschäft betrachten und ihre Gefühle außen vor lassen, wenn ihr das möglich war. Sie wollte ihm mit demselben Zynismus begegnen, den er an den Tag legte. Nur so würde sie das überstehen können.
Aber er schien im Laufe des Lebens ein gutes Gespür für die sensiblen Punkte der anderen entwickelt zu haben. Es würde nicht leicht werden. Was war er für ein Mensch?
Die Geschichte über seine Tat, den Einbrecher, den er angeschossen und getötet hatte – sie hatte die alten Ausgaben in ihrem Pressearchiv ausgegraben –, sagte natürlich eine Menge über ihn aus. Aber was genau? Zwei Personen – beide vorbestraft, wie |206| Boutrup auch, der wegen verschiedener Gewalt- und Eigentumsdelikte gesessen hatte – drangen unerlaubt auf sein kleines Grundstück außerhalb von Randers ein, wo er allein mit seinem Hund gelebt hatte. Das war offensichtlich nicht das erste Mal gewesen, dass er ungebetenen Besuch bekommen hatte.
Zuerst hatte Peter Boutrup seinen Hund auf sie gehetzt, den die Eindringlinge aber mit einem Gewehr getötet hatten. Da hatte er mit einem abgesägten Jagdgewehr aus der offenen Haustür auf sie gefeuert, woraufhin die Männer die Flucht ergriffen. Den einen hatte er im Rücken getroffen. Das Projektil hatte die Halsschlagader durchtrennt, und der Mann war auf der Stelle tot umgefallen.
»Solche Typen«, hatte Bo gesagt. Was waren das für Typen, die ein abgesägtes Jagdgewehr zu Hause stehen hatten und überdies keine Hemmungen hatten, es zu benutzen?
Eine kalte Faust ballte sich in ihrem Bauch, während sie über den Parkplatz auf den Haupteingang in Gebäude 6 zuging. Sie war dankbar für die Gefühlskälte, die sie mit sich brachte. Ihr leiblicher Sohn war womöglich ein abgestumpfter Gewalttäter. War sie dafür verantwortlich? Früher hätte sie das gedacht und sich tief verletzt gefühlt. Aber die Faust im Magen machte es ihr unmöglich, etwas zu empfinden. Wie gnädig!
Sie spannte sämtliche Muskeln an und wappnete sich, als sie die Tür aufdrückte. Aber er saß nicht in der Kantine und seine zwei uniformierten Freunde aus Horsens ebenfalls nicht. Sie setzte sich hin und wartete. Kurz darauf kam eine Krankenschwester herein.
»Wollten Sie Peter Boutrup besuchen?«
Sie nickte. Gedankenfetzen schossen ihr durch den Kopf. War er beim Warten auf eine Spenderniere gestorben? Hätte sie ihn retten können? Hätte sie es gewollt? Oder gekonnt? Sie erinnerte sich an sein Lächeln, das ihr warme Wellen durch den Körper gejagt hatte. Das Blutsband war vielleicht doch fester, als sie gedacht hatte.
|207| »Er ist in der Dialyse. Wollen Sie mich begleiten?«
Wortlos folgte sie der Krankenschwester durch die unendlich langen Gänge. Er saß auf einem schwarzen Stuhl und war an einen Apparat durch eine Nadel im Arm gekoppelt. Die beiden Beamten saßen draußen vor der geöffneten Tür.
»Ich freue mich auf den Tag, an dem ich diesen Eisenwarenladen los bin«, sagte er, als er sie in der Tür stehen sah. »Bitte sehr, nimm Platz im Palast.«
Sie setzte sich auf die äußerste Kante des Stuhls. Verzweifelt suchte sie nach ihrem Zynismus, aber etwas anderes meldete sich zu Wort.
»Wie lange bist du schon krank? Kommt dich jemand besuchen?«
»Du besuchst mich doch«, sagte er. »Wer sollte einen Strafgefangenen auch sonst besuchen, außer seiner Mutter.«
Sie sah ihm in die Augen.
»Freunde? Eine Freundin?«
Sie wagte es kaum, so weit zu denken, fragte aber
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