Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Krankenschwester Ingrid in der Tür.
»Würden Sie so reizend sein und meinen Gast zurück in die Kantine bringen, Ingrid? Dann wären Sie die wunderbarste Frau der Welt.«
Ingrid strahlte übers ganze Gesicht und wandte sich an Dicte, die sich wie ferngesteuert erhob.
»Dann ist die Besuchszeit für heute beendet!«, sagte sie fröhlich.
Dicte zögerte kurz, als sie in der Tür stand. Sie drehte sich zu ihrem Sohn um, der nun auf der Pritsche lag und aussah wie ein Schlafender. Eine Haarsträhne war ihm in die Stirn gefallen, seine Lippen formten einen Schmollmund, wenn er ausatmete. Mit geschlossenen Augen sah sein Gesicht so friedlich aus, die vergangenen Jahre schienen verschwunden, und nur die unschuldigen Züge eines Kindes waren zu sehen. Ein kleiner Schmetterling |213| flatterte in ihrem Bauch. Früher hätte sie vielleicht das Haar weggestrichen und eine Hand auf seine Wange gelegt.
Sie klemmte ihre Tasche fester unter den Arm und folgte der Krankenschwester den Gang hinunter.
[ Menü ]
Kapitel 32
Janos Kempinski folgte mit Blicken der Frau, die von der Kantine kam, an der Information vorbeiging und auf den Ausgang zusteuerte. Aber noch bevor sie die Drehtür erreicht hatte, öffnete die sich praktisch wie von selbst, und ein Mann in Cowboystiefeln und blondem Haar kam mit großen Schritten auf sie zu. Er begann wild zu gestikulieren und sofort auf sie einzureden.
Er konnte nur ein paar Namen aufschnappen: Anne und Torben oder war es Torsten gewesen? Eigentlich wollte er gar nicht lauschen, aber die Frau hatte er schon mal gesehen, konnte sie aber nicht zuordnen. Und das ärgerte ihn so sehr, dass er drauf und dran war, zu ihr zu gehen und sie nach ihrem Namen zu fragen. Stattdessen war er aber am Informationstresen stehen geblieben und tat so, als wäre er in Gedanken versunken und würde auf seinen nächsten OP-Termin warten. Aber er beobachtete genau, wie die Frau mit den zerzausten Haaren besorgt die Stirn runzelte und den Mann eindringlich ausfragte. Sie berührten sich nicht. Und dennoch zog er sofort den Schluss, ein Paar zu beobachten. Sie strahlten eine besondere Vertrautheit aus, vielleicht hatte es mit ihren Blicken zu tun, den durch die Luft wirbelnden Händen oder mit dem relativ kurzen Abstand zwischen ihnen. Er kannte das so genau, weil er selbst nie diese Form der Vertrautheit und alltäglichen Körpersprache erlebt hatte und weil er es vermutlich immer vermisst hatte, wenn er es bei anderen beobachten konnte. Es war eben diese Kommunikation zwischen zwei Körpern, die sich unabhängig von jenen Meinungsverschiedenheiten und alten Streitereien liebten, die sich im Laufe einer Ehe anhäufen konnten.
»Diese Frau da, wer ist sie noch gleich?«
|214| Er fragte den Angestellten hinter dem Tresen mit gesenkter Stimme und nickte in die Richtung der beiden.
»Ist das nicht diese Journalistin? Die mit dem Videoclip vor einem Jahr von dieser Enthauptung?«
Janos Kempinski betrachtete die Frau erneut, jetzt genauer. Man konnte sie nicht direkt als hübsch bezeichnen. Aber sie hatte etwas Niedliches und gleichzeitig Kantiges, das ihn ansprach. Und außerdem sah sie besser aus als auf diesem Foto in der Zeitung, das er gesehen hatte. Denn der Mann am Informationstresen hatte recht: Es war tatsächlich die Journalistin. Sie strahlte eine mädchenhafte Autorität aus, die irgendwie widersprüchlich auf ihn wirkte. Ihre Bewegungen waren feminin, beinahe anmutig, und auch ihr Körper unter der engen Jeans und dem T-Shirt hatte ansprechende Kurven. Und darüber hinaus strahlte sie Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit aus, wie sie da stand und ihrem Mann offenbar erklärte, dass sie einen Entschluss gefasst hätte, von dem sie nicht abzubringen war.
»Danke.« Er hatte das gemurmelt und riss sich los von der Szene. Im diesem Augenblick warf der Mann ergeben die Hände in die Luft, legte einen Arm um die Schulter der Frau, und gemeinsam verließen sie das Krankenhausfoyer.
Janos Kempinski sah auf die Uhr. Es war halb zwei, und er hatte noch zwei Patienten auf der Liste, nach denen er sehen musste. Sie waren beide als potentielle Empfänger für eine Niere einbestellt worden, die am frühen Morgen aus Oslo eingetroffen war. Ein junger Mann aus Ålborg hatte erste Priorität und würde die Niere erhalten, wenn keine Vorbehalte vorlagen, wie Infektionen oder eine Unverträglichkeit, die sich beim Crossmatchen ergeben könnten. Der zweite Patient war ein Mann aus Svendborg. Er würde die Niere
Weitere Kostenlose Bücher