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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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an das, was Aldiss heute Morgen gesagt hatte, an die Aufgabe, die er ihr gestellt hatte. Könnte dieser Mann des Mordes schuldig sein? Könnte Christian mit seinen schäbigen Klamotten und seinem verzweifelten Ehrgeiz eventuell derjenige sein, der …
    »Guten Abend.«
    Alex drehte sich um und sah Matthew Owen, der einen Rollstuhl ins Zimmer schob. Im Stuhl – ein altmodisches Modell mit Segeltuchrücken und irgendwie sehr passend für dieses verfallende Haus – saß Dekan Stanley Fisk. Der Anblick des Mannes schockierte sie. Er war geschrumpft, zusammengesunken und kindlich in einem schweren Bademantel. Er trug eine Sonnenbrille und eine dicke Schicht Grundierung. Sein Gesicht war gepudert, und seine Lippen waren hellrot geschminkt. Auf dem Kopf des Dekans saß eine blonde Perücke mit nach hinten gekämmtem Seitenscheitel – eine mitleiderregende Imitation seines Stils als Literaturprofessor in Jasper. Owen schob Fisk hinein und ließ ihn knapp außerhalb des Kreises früherer Studenten sitzen, dann schürte der Pfleger das Feuer, das heruntergebrannt war. Es wurde Abend.
    »Was geschehen ist, tut mir so leid«, sagte der Dekan in seinem singenden Tonfall. »Michael und Sally sind gute Freunde, und ich bin genauso erschüttert wie ihr alle.«
    »Dekan Fisk«, warf Melissa ein. Sie trug eine schwarze Jacke über ihrer Schulter, und zusammen mit ihrem porzellanweißen Gesicht erinnerte Alex sie an das Mädchen, das sie im Abendkurs gewesen war. Auf ihrem Schoß lag ein Buch, das sie mit einem schmalen Finger offen hielt. Es war eines von Christian. »Glauben Sie, dass Richard Aldiss irgendetwas damit zu tun hat?« Ihr Blick ging zu Alex.
    »Wir müssen für jede Möglichkeit offenbleiben«, sagte der Dekan.
    »Es heißt, Aldiss hätte sich nach der Entlassung aus dem Gefängnis verändert«, sagte Frank. Er saß auf dem mit einem Laken bedeckten Sofa, ein beschlagenes Glas mit irgendetwas Hochprozentigem in der Hand. Die Hand zitterte leicht, das Eis klirrte ans Glas. »Dass er düsterer wurde, ein Haus nicht weit vom Campus entfernt gekauft und ein neues Buch über Fallows begonnen hat. Ein Buch, das er immer noch nicht beendet hat.«
    Beim Klang des Autorennamens breitete sich Stille im Salon aus. Owen zündete das Feuer an, und Funken flogen aus dem Kamin, was Alex zurückzucken ließ.
    »Sie sollten wenigstens gegen ihn ermitteln«, sagte Melissa. »Es gibt eine zu lange Vorgeschichte, um es nicht zu tun.«
    »Geschichte«, fauchte Sally Tanner. Sie war immer noch in die Decke gehüllt, zitterte immer noch, als loderte das Feuer nicht ein paar Meter von ihr entfernt. Es warf einen Schatten auf ihr Gesicht, eine schwarze Narbe, die über die kantigen Wangenknochen der Frau lief. Sie war keine Einundzwanzigjährige mehr, deren ganzes Leben noch vor ihr lag, und Michaels Tod hatte sie verbittert. Auch sie hatte etwas genommen, etwas getrunken, ihre Augen zuckten im dämmrigen Licht, und ihre Worte waren undeutlich. »Es gibt jetzt keine Geschichte mehr. Es ist vorbei. Alles, was Richard Aldiss getan hat, alles, was er angehäuft hat, all sein Ruhm – weg. Er ist nur noch ein erbärmlicher alter Mann, der da draußen mit seinen Erinnerungen lebt.«
    »Nein.« Alex merkte zu spät, dass sie laut gesprochen hatte. »Er ist immer noch ein Genie. Er hat immer noch seinen Verstand.«
    Sally lachte, Wut brannte in ihren Augen. »War ja klar, dass du das denkst.«
    Alex biss sich auf die Zunge und sah zur Seite.
    »Lewis«, sagte Dekan Fisk aus seinem Rollstuhl. »Schließt er sich uns an?«
    »Prine ist wahrscheinlich vollkommen bekloppt geworden«, sagte Frank, »wo er doch mit all den Verrückten arbeitet.«
    »Frank.« Seine Freundin drückte spielerisch seinen Arm.
    »Ich meine es ernst, Lucy. Habe ich dir je erzählt, was Lewis macht? Er ist der Leiter dieses Gefängnisses, dieses Schlosses, in dem die sehr bösen Männer gefangen gehalten werden. Ich weiß nicht, wie er das schafft und dabei normal bleibt. Wirklich nicht.«
    Frank schwieg, ihm wurde bewusst, dass er vielleicht zu weit gegangen war. Er spülte den Hochprozentigen hinunter.
    »Morgen«, sagte Dekan Fisk, »gibt es eine Gedenkfeier auf dem Osthof vor dem Tower. Alex wird die Trauerrede halten, und jeder, der etwas über Michael sagen möchte, kann dies tun.« Auf dem Sofa schluchzte Sally, ein Geräusch so trocken wie totes Laub. »Ich bin so froh, dass Sie alle beschlossen haben, bei mir zu wohnen. Sie wissen nicht, wie glücklich es mich macht,

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