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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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könnten sie dem Professor ohne Antwort auf diese Frage nicht mal in die Augen sehen.
    »Kommen Sie«, sagte Aldiss, sein Tonfall schon etwas schärfer. »Was macht Fallows hier?«
    »Er legt sie rein.«
    Das war Jacob Keller. Er blinzelte mit schweren Lidern in Richtung des Bildschirms, als wäre er allenfalls beiläufig interessiert. Aber das war weit von der Wahrheit entfernt. Keller war voll engagiert. Das war er immer.
    »Und warum sagen Sie das?«
    »Ist das nicht offensichtlich?«, fragte Keller. »Er versucht alles in seiner Macht Stehende zu tun, um sie davon abzuhalten, Erfolg zu haben. Er ist der Meister, und Ann Marie … na ja, sie ist die Ratte im Labyrinth.«
    »Eine Ratte im Labyrinth«, wiederholte Aldiss, als hätte er diesen Ausdruck für den Roman noch nie gehört. Aber es war klar, dass er funktionierte: Er passte perfekt zu den Mustern und Themen des Buchs. »Ich denke, Sie liegen da vollkommen richtig. Die Literaturkritiker haben immer wieder gesagt, dass der Roman ein feministischer Text sei. Aber wenn man zusieht, wie Ann Marie sich durch dieses Stadtlabyrinth kämpft, fragt man sich langsam, ob Fallows nicht …«
    »… versucht, sie in den Wahnsinn zu treiben.«
    Er drehte den Kopf, um Alex anzusehen. »Exakt, Ms Shipley.«
    »Sie behaupten also«, warf Melissa Lee ein, deren rauchige Stimme im Zimmer kaum zu hören war, »dass Fallows überhaupt kein Feminist ist. Tatsächlich ist er das genaue Gegenteil. Er hasst Frauen und versucht, seine Protagonistin zu dominieren.«
    »Ich behaupte nur«, sagte Aldiss, »dass Fallows auf keinen Fall ein großzügiger Autor ist.«
    »Was ist er dann?«
    »Ist es Ihnen nicht aufgefallen, Ms Lee? Er ist ein Schwindler. Diese Stadt voller Hindernisse, all diese Fallen, die Ann Marie umgehen muss – denken Sie bloß an den verrückten Onkel, der sich in den Zimmern seines Anwesens vor ihr versteckt –, haben eine gewisse Schärfe. Alle guten Schriftsteller bauen Hindernisse auf, die ihre Figuren überwinden müssen, aber hier ist es, als reize Fallows seine Heldin. Als hätte er vor, sie bis zum Äußersten zu treiben. Und das tut er natürlich auch. Aber darüber ein anderes Mal mehr.«
    Die Studenten bewegten sich; sie hatten an seinen Lippen gehangen wegen seiner Auslegung von Die Windung, und jetzt, da er mit etwas anderem weitermachen wollte, waren sie aus ihrer Trance erwacht. Die Verbindung, die Aldiss zwischen sich und seinen Studenten durch den Fernsehschirm aufgebaut hatte, war wieder durchtrennt.
    »Was sagt uns das alles über Paul Fallows selbst?«, fragte er.
    »Es sagt uns, dass der Mann ein Lügner war.«
    Alle drehten sich zu dem Studenten um, der das gesagt hatte: Daniel Hayden.
    »Sind nicht alle Schriftsteller Lügner, Mr Hayden?«, fragte Aldiss.
    »Manche sind geschickter als andere«, schoss der Junge zurück. Er sprach mit großem Selbstvertrauen; der verlegene, trotzige Junge der letzten Stunde war durch jemand dreisteren ersetzt worden. Jemanden, der etwas zu beweisen hatte.
    »Natürlich, aber um eine Lüge durchzubringen, braucht es zweierlei: die Kunstfertigkeit des Lügners und die Naivität des Zuhörers.«
    »Kunstfertigkeit«, spottete Hayden.
    »Sie finden also nicht, dass Fallows gut ist in dem, was er tat?« Aldiss’ Augen glänzten jetzt. Er genoss den Schlagabtausch. »In dem, was er tut?«
    »Ich finde, Menschen sollten die Wahrheit sagen.«
    »Tun Sie das?«, stichelte Aldiss. »Sagen Sie immer die Wahrheit?«
    Hayden wich aus. »Selbst in der Fiktion muss es einen Kontext geben. Wo ist der Kontext bei diesen Spielen, die Fallows spielt?«
    »In den Texten selbst.«
    »Welchen Texten?« fragte Hayden, seine Stimme wurde lauter. Er hielt seine Ausgabe von Die Windung hoch und schüttelte sie wie eine Puppe. »Dieses Ding ist nicht real genug, um ein Text zu sein. Der Autor will sich ja nicht einmal zeigen, um Verantwortung für das verdammte Ding zu übernehmen. Es ist wie eine Art Betrug.«
    Aldiss begann zu antworten, hielt dann jedoch inne. Seine Zunge schoss heraus und leckte seine Lippen. Der Hörsaal hatte jetzt eine Intensität, einen Puls. Es war, als wäre Aldiss ihnen näher gekommen, als stünde er vor dem Kurs und wäre tatsächlich einen Schritt auf den Jungen zugetreten.
    »Nun«, sagte der Professor, »meiner Meinung nach ist eine gute Lüge dasselbe wie eine gute Geschichte. Ohne Schönfärberei gäbe es keine Kunst, und was ist Schönfärberei anderes als …«
    »Lügen Sie, Professor?«, fragte

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